Die Zuflucht
Tegan ernst, » ich werde wahrscheinlich nie mit einem Jungen zusammen sein. Ich sage das nicht, damit du mich bemitleidest. Mir geht es jetzt viel besser, und ich mag die Tuttles. Ich fühle mich bei ihnen geborgen. Aber was Bleich und mich angeht…« Sie schüttelte den Kopf. » Selbst wenn er etwas von mir wollte, könnte ich es nicht. Ich brauche Zeit. Meine Wunden müssen heilen. Es kann noch eine ganze Weile dauern, um zu akzeptieren, dass nicht alle Jungen so sind wie die in den Banden.«
» Die meisten scheinen zumindest ein bisschen friedfertiger zu sein«, überlegte ich laut.
» Stimmt«, sagte Tegan. » Hier in Erlösung schenken sie einem Mädchen Blumen, das sie mögen, und sie fragen den Vater des Mädchens um Erlaubnis, wenn sie sich mit ihm treffen wollen.«
Das hatte ich nicht gewusst, noch wusste ich, wozu das gut sein sollte. » Hat jemand Doc Tuttle auf dich angesprochen?«
Tegan verneinte. » Ich habe noch keinem Grund gegeben, es zu tun. Aber das spielt keine Rolle. Bleich hatte jedenfalls immer nur Augen für dich, und manchmal spricht er sogar von dir.«
Ein Feuer flammte in meinem Bauch auf und wärmte meinen ganzen Körper. » Auf die Idee wäre ich im Traum nicht gekommen. Was… was sagt er denn so über mich?«
» Er erzählt, wie ihr gemeinsam durch die Tunnel gelaufen seid und euch vor den Freaks versteckt habt. Dass ihr einander beschützt habt. Er sagte, du hättest ihm das Leben gerettet.«
» Genau wie er mir.« Und das mehr als nur im wörtlichen Sinn. Es war, als hätte er mich von einer tödlichen Wunde geheilt, von der ich nicht einmal etwas wusste.
» Er hat auch gesagt, als er mit dir unterwegs war, hätte er sich zum ersten Mal wieder sicher gefühlt, seit er in der Enklave war.«
Wir hatten das Haus erreicht, und einmal mehr fiel mir auf, wie schön und liebevoll es instand gehalten war. Es war vielleicht nicht so ausgefallen wie das Heim der Bigwaters, aber mir gefiel es. Ich dachte an das, was Tegan über eine mögliche Übernachtungseinladung von Merry gesagt hatte. Sie hatte davon gesprochen, als wäre es etwas Schönes, also sagte ich kurz entschlossen: » Ich kann Oma Oaks fragen, ob du die Nacht über hierbleiben kannst, wenn du willst. Mein Bett ist groß genug.«
» Das wäre toll.«
Ich lief nach drinnen und fand meine Pflegemutter im Wohnzimmer vor. Sie saß in ihrem Sessel und hatte sich eine aus verschiedenen Stofffetzen zusammengenähte Decke über den Schoß gelegt. Die Decke sah unglaublich schön aus. Ich an ihrer Stelle würde mich kaum trauen, sie zu benutzen, so kostbar wirkte sie auf mich.
» Ich habe Tegan vorgeschlagen, über Nacht hierzubleiben. Wäre das in Ordnung?«
» Nachdem du die Einladung schon ausgesprochen hast, ist es ein bisschen spät für deine Frage, findest du nicht?«, erwiderte sie. Doch an dem Glitzern in ihren Augen sah ich, dass es ihr nichts ausmachte. » Natürlich kann sie bleiben. Sie ist ein nettes Mädchen. Wissen die Tuttles schon Bescheid?«
» Wir werden es ihnen sofort sagen.«
Ich hob meinen Rock ein Stück an und rannte zurück nach draußen, auch wenn das für ein Mädchen nicht schicklich war. Hinter mir hörte ich Oma Oaks gutmütig lachen. » Ich wollte ja immer eine Tochter…«, murmelte sie.
Tegan schaute mich erwartungsvoll an. » Und?«
» Es geht in Ordnung. Soll ich mit dir kommen?«
Tegan schüttelte den Kopf. » Ich bin in ungefähr einer halben Stunde wieder da. Falls nicht, weißt du, dass Doc mich nicht entbehren konnte.«
» Das will ich nicht hoffen«, erwiderte ich, denn es bedeutete, dass jemand krank geworden oder verletzt war.
» Ich auch nicht. Eine Nacht Pause könnte ich ganz gut gebrauchen.«
Als ich zurück ins Haus ging, war Oma Oaks in der Küche. Ein süßlich würziger Geruch hing in der Luft. Wenn ich einen Gast hatte, wollte sie offensichtlich etwas Besonderes kochen, auch wenn wir auf der Geburtstagsfeier schon eine Torte gegessen hatten. Ich wusste, es war sinnlos, aber trotzdem versuchte ich, es ihr auszureden.
» Mach dir nicht so viele Umstände«, sagte ich. » Ich will nur, dass Tegan über Nacht bleibt.«
» Du weißt anscheinend gar nichts über Mütter«, erwiderte sie sanft.
» Woher auch? Ich hatte nie eine.«
Oma Oaks strich mir über die Wange. » Das weiß ich. Was ich für dich tue, Zwei, tue ich, weil ich es will. Wenn es anders wäre, würde ich es lassen. Akzeptier das einfach.«
Ich spürte einen Kloß im Hals. » Danke«, sagte ich
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