Die Zuflucht
Richtung der allzu aufmerksamen Damen. Oma Oaks hatte recht. Die Blicke waren eindeutig missbilligend. Das war nichts Neues. Die Frauen hier hatten mich von Anfang an kritisch beäugt, aber ihr Missfallen schien inzwischen noch größer geworden zu sein. Die ganze Hauptstraße entlang behielten sie uns im Auge, und ich fürchtete, durch meine Taten am Ende noch meine Pflegeeltern in Gefahr zu bringen. Wenn ich mich besser einfügte und die Töchter der Stadt dazu brachte, mich zu mögen, würden ihre Mütter vielleicht weniger Anstoß daran nehmen, dass ich einer Aufgabe nachging, die normalerweise Männern vorbehalten war.
Es fiel mir verdammt schwer, aber schließlich fragte ich: » Soll ich wieder austreten?«
» Nein«, erwiderte Oma Oaks scharf. » Ich glaube nicht an diesen abergläubischen Unsinn, selbst wenn er in den Gesetzbüchern steht.«
Ich verstand überhaupt nichts. » Wie meinst du das?«
» Dass die Stolzseuche vom Himmel geschickt wurde. Dass Frauen nur Frauenarbeit tun dürfen, weil sonst neues Unglück über uns kommen wird.«
» Tatsächlich?« Ich war nicht sicher, was mir widersinniger erschien: dass so dummes Zeug in den Gesetzbüchern stand oder dass die Leute in Erlösung daran glaubten.
Draufgänger hatte gesagt, die große Anzahl an Freaks dieses Frühjahr wäre unnatürlich. Wenn die Leute hier so abergläubisch waren, war der Schritt nicht weit, dass sie mich dafür verantwortlich machten, ob es nun stimmte oder nicht. Aber so waren die Menschen nun mal, Oben wie Unten. Immer brauchten sie jemanden, dem sie die Schuld geben konnten. Schweigend gingen wir den Rest des Weges, beide in unsere eigenen Gedanken versunken.
Als wir wieder zu Hause waren, schlug Oma Oaks vor, mich für die Feier etwas herauszuputzen, und ich tat ihr den Gefallen. Sie machte mein Haar nass und knotete es mit Stoffbändern zusammen. Das Ganze musste mehrere Stunden lang so bleiben, die ich damit verbrachte, mich mit Flickarbeiten abzumühen. Verglichen mit dieser eintönigen Qual erschien mir das Fest immer verlockender.
» Freust du dich auf Justines Geburtstagsfeier?«, fragte sie, während wir dasaßen und nähten.
» Eigentlich nicht.« Lügen war nicht meine Art.
» Warum?«
» Ich passe einfach nicht zu ihnen. Sie lachen über mich, wenn ich in der Schule vorlese, weil ich schlechter bin als Bälger, die nur halb so alt sind wie ich.«
Ich tat es für Tegan. Für sie wollte ich versuchen, die Herzen der Übrigen auf andere Weise für mich zu gewinnen als dadurch, Monster zu töten. Wenn das kein Freundschaftsbeweis war, wusste ich auch nicht weiter.
Oma Oaks blickte mich fest an. » Justines Vater ist ein wichtiger Mann. Er regiert diese Stadt. Es wäre nicht schlecht, wenn Justine sich mit dir anfreundet«, sagte sie und legte das Kleid mit dem ausgefransten Saum weg. » Und jetzt ist es an der Zeit, deine Frisur fertig zu machen.«
» Fantastisch«, murmelte ich.
Sie steckte einen Teil der Locken zu einem Turm auf und ließ den Rest lose über meine Schultern fallen. Ich kam mir vollkommen albern vor, und falls es Ärger gab, konnte ich mit dieser Frisur bestimmt nicht kämpfen. Ich ließ Hose und Messer weg und zog nur das Kleid an, auch wenn ich mir nackt vorkam, als ich den Stoff auf meinen bloßen Beinen spürte.
Am Nachmittag kam Tegan zurück und klatschte begeistert in die Hände. » Du siehst toll aus!«, rief sie.
Wir verabschiedeten uns kurz, dann klemmte ich mir das kleine Geschenkpäckchen unter den Arm und folgte Tegan durch die Stadt. Ich hatte keine Ahnung, wo wir hinmussten, aber das machte nichts. Tegan schnatterte in einer Tour davon, wie sehr ich die Mädchen mögen würde, wenn ich sie erst mal ein bisschen näher kennenlernte. Ich war mir da nicht so sicher, wollte es aber zumindest versuchen für den Fall, dass sich auf diese Weise mögliche Probleme wegen meiner Teilnahme an den Patrouillen von vornherein verhindern ließen.
» Justine«, sagte Tegan. » Das ist Zwei aus unserer Schule.«
Sie war ein hübsches Mädchen mit einem runden Gesicht und sonnengelben Locken. Wenn sie lächelte, bildeten sich Grübchen auf ihren Wangen. Sie sah lieblich aus, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht jagte mir einen kalten Schauder über den Rücken, vor allem, weil er mich an Seide erinnerte. Sie hatte die Leute in der Enklave auch immer so angesehen, bevor sie sie zu vierzig Peitschenhieben verurteilte. Doch dann verschwand der Ausdruck wieder, und an seine Stelle trat pures
Weitere Kostenlose Bücher