Die Zuflucht
zu viert.«
» Stimmt«, sagte Hannah. » Tegan hat uns erzählt, wie schrecklich es war. Ich glaube nicht, dass ich das überlebt hätte.«
Nadja, ein dünnes, stilles Mädchen, dessen ausdrucksstarkes Gesicht mich an Fingerhut erinnerte, hauchte: » Hast du wirklich in einem Loch gelebt?«
» So schlimm war es auch wieder nicht. Es waren Tunnel.«
Ein paar der Mädchen lachten. Anscheinend glaubten sie, ich hätte einen Witz gemacht.
Die Unterhaltung ging in die falsche Richtung. Ich war hier, um neue Freundinnen zu finden, nicht, um alle daran zu erinnern, wie anders ich war. Aber noch bevor ich das Thema wechseln konnte, stieß Justine zu uns. In ihren blauen Augen brannte ein Feuer, das mir sagte, dass ich ihr die Schau stahl.
» Worüber sprecht ihr gerade?«, fragte sie mit gespielt guter Laune.
» Wie gefährlich der Weg hierher für Tegan und Zwei war«, erklärte Merry, ohne die Gefahr zu sehen, in der ich im Moment schwebte.
» Aber ja«, keuchte Justine. » Ein normales Mädchen hätte so eine Reise bestimmt nicht auf sich genommen. Außerdem war es nicht gerade klug, sich mit zwei Jungs in der Wildnis herumzutreiben.«
Ihr arrogantes Gehabe ging mir gegen den Strich, aber es war ihre Feier, und ich war ihr Gast. Also riss ich mich zusammen, statt ihr den Arm auf den Rücken zu drehen und ihr hübsches Gesicht in eine Pfütze zu drücken. Auch wenn es mir, ehrlich gesagt, schwerfiel.
» Manchmal hat man keine Wahl«, murmelte ich, » und tut, was man tun muss.«
Hannah nickte. » So geht es mir auch jedes Mal, wenn ich die Hausarbeit erledigen muss.«
Von da an ging es nur noch darum, wie jede sich ihre eigene Geburtstagsfeier vorstellte, und ich musste nicht länger zuhören. Solange ich nur immer ein höfliches Lächeln auf den Lippen behielt und interessiert tat, schienen alle zufrieden zu sein. Danach aßen wir ein paar Häppchen und spielten sinnlose Spiele. Schließlich gab es eine Torte, und Justine packte ihre Geschenke aus.
So viele hatte ich noch nie auf einem Haufen gesehen, und die meisten davon waren nagelneu. Sie bekam Zopfbänder und eine Bürste, einen vornehmen Kamm, glitzernde kleine Fläschchen, eine hübsche Bluse mit Spitzenkragen und andere Dinge, deren Namen ich nicht einmal kannte. Ich wurde neidisch bei alldem Überfluss. Unten hatte ich außer meinen Messern und der Keule nie etwas besessen, das zuvor nicht jemand anderem gehört hatte. Ich fragte mich, ob Justine wusste, wie glücklich sie sich schätzen konnte, so gute Freundinnen und eine Familie zu haben, die sich derart für sie ins Zeug legte. Ich fühlte mich immer noch wie eine Außenseiterin, die durch ein Guckloch in einen Festsaal schaute und beobachtete, wie ein Mädchen in einem Geschenkstapel nach dem größten Päckchen wühlte. Das, dachte ich, musste Edmund gemeint haben, als er davon sprach, dass die Menschheit zu gierig geworden war.
Ein beunruhigender Gedanke. Genauso wie mich könnten die Bürger von Erlösung auch Justine für den letzten Freak-Angriff verantwortlich machen. Was auch immer diese Ungeheuer für einen Grund haben mochten, uns Menschen so zu hassen, er hatte bestimmt nichts mit einer Geburtstagsfeier und der Anzahl der Geschenke zu tun, die dort verteilt wurden.
Aber manche schienen das anders zu sehen.
EIN ÜBERNACHTUNGSGAST
Nach der Feier ging ich mit Tegan nach Hause und hörte ihrem Geplapper nur mit halbem Ohr zu. Erst als sie mir auf die Schulter tippte, merkte ich, dass sie mich gerade etwas gefragt hatte. » Und, wie fandest du sie? Merry sagte, sie würde deine Pflegemutter bitten, dass du diesen Sommer einmal bei ihr übernachten darfst.«
» Sie waren alle ganz nett«, antwortete ich und wunderte mich, warum ich bei Merry schlafen sollte. Ich hatte ein eigenes Bett.
» Netter, als du gedacht hättest?«
Ich nickte.
Tegan machte bei jedem Schritt einen kleinen Hüpfer. » Ich habe gewusst, dass es klappen würde, wenn du dich nur ein bisschen anstrengst und aufhörst, dauernd mit Pirscher herumzuhängen.«
» Er ist nicht so übel, wie du denkst«, erwiderte ich leise. » Und er hat niemanden.«
» Ich habe nie verstanden, warum du dich auch nur eine Minute lang mit ihm abgibst, wenn Bleich dir ständig hinterherstarrt.«
Ungläubig blieb ich stehen. » Er hat in den letzten zwei Monaten kaum ein Wort mit mir gesprochen. Er war immer mit dir zusammen.«
» Mit mir zusammen ist der falsche Ausdruck. Du glaubst doch nicht…«
» Nicht mehr.«
» Zwei«, sagte
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