Die Zuflucht
einfache Speisen dabeihatte. Meistens Brot mit Fleisch, manchmal eine Schale Bohnen.
Mit neidischen Blicken beäugte er, was ich aus meiner Tasche zog: aufgeschnittenes Fleisch, Karotten und ein kleines Stück Kuchen. Es war gutes Essen. Niemand konnte Oma Oaks nachsagen, sie würde sich nicht angemessen um ihre dickköpfige, unweibliche Ziehtochter kümmern.
» Möchtest du was?« Ich brach den Kuchen in zwei gleich große Stücke, ohne die Antwort abzuwarten.
Es war Frühling, und das Schuljahr war fast vorbei. Nur noch ein Monat. Ich hatte gehört, im Sommer arbeiteten sie auf Feldern und pflanzten an, was sie im Winter essen würden. Unten hatte ich nur Essen gekannt, das man jagen musste oder irgendwo fand. Dass Nahrung auch aus dem Boden wachsen konnte, war mir neu, doch offensichtlich stimmten einige der Geschichten, die Bleichs Zeuger ihm erzählt hatte. Pilze hatte es Unten zwar auch gegeben, aber das war nicht dasselbe. Es hatte nicht diese Magie.
Im Sommer brauchten sie Jäger, die die Leute beschützten, die auf den Feldern arbeiteten und sich um die Pflanzen kümmerten. Der Sommer war die einzige Zeit, zu der Patrouillen erlaubt waren, und auch diese Regel schien mir fragwürdig. Wenn ich die Dinge hier in die Hand nehmen könnte, würde ich es anders machen: Wir würden ständig auf Patrouille gehen und so viele Freaks töten wie möglich, damit sie lernten, sich von Erlösung fernzuhalten. Es war Zeit, dass ich etwas anderes zu tun bekam, als mit Nadel und Faden ein Stück Stoff zu bearbeiten.
» Hast du noch mal über das nachgedacht, was ich gestern Nacht zu dir gesagt habe?«, fragte Pirscher.
» Von hier weggehen? Nicht, bevor wir nicht wissen, wohin. Es wäre Selbstmord, einfach ohne Plan loszuziehen.«
Ich wollte es gegenüber Pirscher nicht zugeben, aber es gab noch andere Dinge, die mich zögern ließen. Ich konnte Tegan und Bleich nicht einfach zurücklassen, auch wenn sie sich hier anscheinend recht wohlfühlten. Zwischen uns vieren bestand ein Band, und dieses Band durfte nicht zerreißen, auch wenn die Leute hier in Erlösung alles taten, um genau das zu erreichen.
» Sehe ich auch so.«
» Kommst du immer noch gut mit Mr. Smith zurecht?«
Soweit ich wusste, war das ein weitverbreiteter Name, aber er hatte auch etwas mit seiner Aufgabe zu tun. Sein Vater hatte denselben Beruf ausgeübt, hatte Dinge aus Metall hergestellt. Die Siedlung gab es in ihrer heutigen Form schon seit hundert Jahren, behaupteten die Leute hier zumindest. Mrs. James sagte sogar, Erlösung sei ein » historischer« Ort, und seine Wurzeln reichten noch viel weiter zurück, bis zum Aroostook-Krieg. Ich hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte, aber für mich klang es wie etwas, das sie sich ausgedacht hatte, und ich hörte kaum hin, wenn sie von der Geschichte der Siedlung schwärmte. Erst wenn ich mich entschieden hatte zu bleiben, würde ich mich damit beschäftigen.
» Er redet nicht viel.« Pirscher stopfte das Stück Kuchen in sich hinein und sprach dann weiter. » Er bringt mir bei, wie man aus altem Metall Messer macht.«
» Klingt, als wäre es nützlich.«
» Es ist das Einzige, was mir das Leben hier erträglich macht. Das und… du.« In seinen wintergrauen Augen sah ich, wie gefangen er sich hier fühlte.
» Hör auf, so zu reden«, murmelte ich.
Ich erinnerte mich an eine unangenehme Unterhaltung mit Oma Oaks. Sie war nicht damit einverstanden, dass ich so lange allein mit Pirscher und Bleich unterwegs gewesen war. In der ersten Nacht in ihrem Haus war sie die Treppe heruntergekommen und hatte mich wohlwollend angelächelt. » Es ist alles bereit. Eure Zimmer sind fertig. Ich habe noch einen extra Raum und eine gemütliche kleine Abstellkammer neben der Küche. Ich denke, eine Pritsche müsste hineinpassen.«
» Ich nehme die Kammer«, erwiderte ich. » Ich bin an kleine Räume gewöhnt.«
» Ich wollte nicht, dass du in einem Zimmer mit diesen raubeinigen Jungs schlafen musst.« Ihr Unterton machte allzu klar, was sie nicht aussprach. » Ich wollte nicht« bedeutete: » In meinem Haus wird so etwas nie passieren.«
Ich glaubte zu wissen, was sie bedrückte, und versuchte, sie zu beruhigen. » Wir haben Dutzende Male im selben Zimmer geschlafen, und es wäre auch jetzt kein Problem. Fortpflanzung interessiert mich nicht.«
» Dich interessiert… was nicht?« Sie wurde feuerrot.
Hm, dachte ich. Falls sie Kinder hatte, wie Draufgänger erwähnt hatte, wusste sie weit mehr über
Weitere Kostenlose Bücher