Die Zuflucht
ich machte mich auf den Weg zu Oma Oaks. Vielleicht zum letzten Mal.
» Ich habe alles von dem Zwischenfall mit dieser schrecklichen Caroline Bigwater gehört«, begrüÃte sie mich. » Es tut mir so leid, Kind. Aber nicht alle Frauen sind so, das verspreche ich dir.« Ihr fiel auf, wie still ich war. Sie musterte mich eine Weile, dann wurde sie blass. » Was ist passiert?«
Beinahe im Flüsterton erklärte ich ihr, dass ich fortgehen würde, und auch den Grund dafür. Ich sah in ihrem Gesicht, dass sie protestieren wollte. Warum musst ausgerechnet du gehen?, fragte sie sich in Gedanken, und dafür liebte ich sie. Oma Oaks würde mich vermissen. Sie würde sich an mich erinnern, selbst wenn ich nicht zurückkehrte. Tapfer blinzelte sie die Tränen aus den Augen und zog mich an ihre Brust. Starr stand ich da und lieà es über mich ergehen. Ich hatte Angst, ich könnte zusammenbrechen, wenn ich diesen Abschied zu nahe an mich heranlieÃ, und dann würde alles nur umso schwerer.
» Du wirst deine Sachen packen müssen«, sagte sie und lieà mich los.
» Ja«, erwiderte ich nur und ging zur Treppe.
» Eigentlich sollte es eine Ãberraschung für später werden, aber wie die Dinge stehen, brauchst du sie jetzt. Ich habe dir neue Kleidung für deine Patrouillen genäht. Sie dürfte genau das Richtige für diese Reise sein.«
Da war es um mich geschehen. Ich warf mich an ihren Hals und weinte wie ein Mädchen, das seine Mutter nicht verlassen wollte. Keine Spur mehr von der Jägerin in mir. Sie würde zurückkehren, sobald ich sie brauchte, doch im Moment war sie fehl am Platz.
Sie versuchte erst gar nicht, meine Tränen zum Versiegen zu bringen. Stattdessen flüsterte sie allen möglichen Unsinn, strich mir übers Haar und sagte, alles würde gut werden. Wir wussten beide, die Wahrheit sah anders aus, aber ihre Lüge holte mich zurück in die Wirklichkeit, und auch dafür liebte ich sie. Ich wischte mir über die Augen, machte mich los und ging hinauf in mein Zimmer.
Ich brauchte nicht lange, um meine Sachen zu packen. Oma Oaks half mir und faltete die neue Kleidung in kleine Päckchen, die sich gut verstauen lieÃen. Sie musste etwas tun, konnte nicht einfach still danebenstehen, und ich war ihr unendlich dankbar, weil sie mir den Abschied nicht noch schwerer machte, als er ohnehin schon war. SchlieÃlich steckte ich die Mappe mit Draufgängers Karten ein. Unterwegs würde ich sie brauchen.
» Edmund kommt erst zum Abendessen nach Hause. Wirst du dann noch hier sein?«
» Natürlich.« Bis dahin wäre es ohnehin noch nicht ganz dunkel.
Zu meiner groÃen Ãberraschung kamen auch noch Rex und dessen Frau Ruth. Sie war eine zurückhaltende Person und schien sich in der Gegenwart von Rexâ Eltern nicht ganz wohl zu fühlen, aber ich war ihr trotzdem dankbar, dass sie gekommen war. Sobald ich fort war, würden meine Pflegeeltern ihren Sohn mehr brauchen denn je. Vielleicht war es doch richtig gewesen, mich in ihre Familienangelegenheiten einzumischen.
Beim Abendessen sprach ich kaum ein Wort, und nach jedem Bissen hingen Edmunds Mundwinkel noch ein Stückchen weiter nach unten. Oma Oaks versuchte, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, und Ruth tat sogar ein bisschen zu viel des Guten. Ab und zu warf Rex etwas ein, aber er schien die Schwere des Moments instinktiv zu spüren, auch wenn er noch gar nichts von meiner Abreise wusste.
Oder er wusste doch Bescheid, denn schlieÃlich sagte er leise: » Ich möchte mich bei dir bedanken. Ich hatte vergessen, was wirklich wichtig ist im Leben⦠und mein Stolz gehört nicht dazu.«
» Ich war unhöflich zu dir«, murmelte ich.
Rex zuckte die Achseln. » Ich hatte es verdient.«
Für den Rest des Abendessens war mir etwas leichter ums Herz, und nach dem Abwasch fragte ich Ruth: » Was ist damals eigentlich vorgefallen?«
Sie starrte den Teller in ihren Händen an. » Es waren mehrere Dinge⦠Normalerweise würde ich dir nichts davon erzählen, weil ich dich nicht kenne, aber jetzt gehörst du zur Familie.«
» Danke«, sagte ich gerührt.
Ruth sprach weiter. » Ich war⦠schwanger, als Rex mich geheiratet hat. Seine Familie hielt mich deshalb für ein schlechtes Mädchen, und schlieÃlich verlor ich auch noch das Baby. Einige behaupteten, es wäre eine Strafe des
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