Die Zunge Europas
Gerichtsshows. Direkt nach der Aufzeichnung sind sie losgezogen, jetzt weiß man endlich mal, was die nach Feierabend so machen. Tatsächlich werkelt die Sexbombe an einer T V-Karriere . (Am besten Moderatorin. Schauspielerin geht auch.) Ihr letzter Einsatz beim nervlich schwer angeschlagenen Sexrichter Alexander Hold (drei Aufzeichnungen pro Tag!) liegt erst ein paar Wochen zurück. Im Zeugenstand hat sie ihren einzigen Satz geschrien: «Ey, das Schwein hat mich angetatscht, halt die Schnauze, jetzt red ich, ey, und dafür soll er mir büßen bis zum Ende seines Lebens.» Sie brüllt, weil sie das mit Schauspielerei verwechselt. Dann ist sie in Tränen ausgebrochen, obwohl der Regisseur ihr gesagt hat, dass sie das gefälligst bleibenlassen soll, scheißegal, sie will ihre Chance nutzen. Da bei Sexrichter Alexander Hold (drei Aufzeichnungen pro Tag!) alles zack, zack gehen muss, ist ihr hysterisches Geschluchze auch tatsächlich nicht ganz geschnitten worden. Sie hat es bisher auf vier Einsätze in Gerichtsshows gebracht, dazu Daily-Talk-Auftritte («Du Schwein! Heute kommt alles raus»/«Du Sexsau. Sag endlich die Wahrheit: Von wem ist das Kind wirklich?»/«Du Schwein. Du verdammte Sexsau!»), istbei einem Werbespot von links nach rechts durchs Set gelatscht – erst zu langsam, weil sie möglichst lange im Bild sein wollte; in diesem Fall jedoch hat der Regisseur sich durchgesetzt – und hat beim «Großstadtrevier» als Komparsin mitgewirkt. Irgendein alter Bock aus dem Team hat sie in einer Drehpause angegraben, was bildet sich das geile Schwein eigentlich ein, sie konnte sich gerade noch beherrschen, ihm nicht die Eier wachsweich zu treten. Nächste Woche ist sie mit einem Kumpel verabredet, der ihre Auftritte zu einem Castingband (korrekt muss es Showreel heißen, sie könnte kotzen, wenn irgend so ein Amateur Castingband sagt) zusammenschneidet, und dann wird richtig Gas gegeben. Mit ihrem letzten Freund hat sie Schluss gemacht, weil dessen
Schluffigkeit
sie runtergezogen hat. Ein Verlierer an ihrer Seite ist das Letzte, was sie brauchen kann, ein Typ soll sie pushen. Ihr Held ist Xavier Naidoo, dem sie regelmäßig schreibt, den Briefen legt sie Fotos, selbstgemalte Zeichnungen und Smileys bei: «Danke für die Gänsehaut». Das
1900
findet sie jetzt schon voll peinlich.
NIKE ist fahrig und sauer auf seine Kollegen, die außer «Ey, Digga, lass mal den Scheiß» . (seit neuestem ersetzen sie das ewige «Digga» durch «Opfer» = «Ey, du Opfer, lass mal den Scheiß») nichts zur Unterhaltung beitragen. Die Deutschen sprechen wie Ausländer und die Ausländer wie Deutsche, die wie Ausländer sprechen. Ihre zerfetzten Sätze ähneln den Lauten von Pinguinen, die damit unter Abermillionen identisch aussehender Tiere die eigene Brut wiederfinden. NIKE begleitet sein schnarchlangweiliges Gestammel mit Grimassen und Armrudern, er müht sich,so etwas wie Schwung vorzutäuschen, langsam wird die Zeit knapp, er spürt, dass die Entscheidung längst gefallen ist. Eine Zigarettenlänge Gnadenfrist bleibt ihm noch. Er hat echt zu viel getrunken und glotzt die Asiatin an, wie es glotziger nicht geht, aber das ist jetzt auch schon egal. Sie ist wirklich hübsch, eine Porzellangestalt mit Kindergesicht, viel weniger prollig als die Sexbombe. Wiegt sicher nicht mehr als fünfundvierzig Kilo. Ihr wird ganz mulmig von dem geilen Gestarre, sie saugt im Akkordtempo an ihrer Zigarette und will endlich weiter. Was für eine Scheißidee, mit den Asis mitzugehen. Sie überlegt, wie viele Stufen die unter ihr stehen. Zwei? Zweieinhalb? Dreieinhalb? Ständig ist sie am Rechnen. Sie drückt ihre Zigarette aus und schaut zu ihren Freundinnen, die wie auf Kommando aufstehen. NIKE steht die ungeheure Enttäuschung ins Gesicht geschrieben.
«Ey, das ist doch nicht euer Ernst. Wollt ihr echt schon los? Das ist noch nicht mal zwei, Aldda.»
«Nee, wir hauen ab. Ihr (die Sexbombe deutet auf die Asiatin, die Brünette bleibt stumm) ist schlecht, sie muss nach Hause.»
Die doofste Ausrede, die sie im Repertoire hat, aber für die Prolls muss es reichen. NIKE sieht ein, dass es keinen Zweck hat, nach den Handynummern zu fragen. Die Lage ist hoffnungslos, er kann es sich nicht leisten, noch mehr Kraft zu vergeuden. Er schüttelt einem Girl nach dem anderen brav die Hand und schaut sehnsuchtsvoll der Asiatin hinterher, die sich fast panisch rausdrängelt. Gott, wie süß und zierlich die ist, meine Güte, meine Güte. Nachher im Bett,
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