Die Zunge Europas
Starrer, die Planstelle des männlichen Hockers ist unbesetzt.
Auf
Rock
DJ folgt
Mr. Vain
.
«Call him Mr. Raider, call him Mr. Wrong, call him Mr. Vain … I know what I want, and I want it now, I want you, cause I am Mr. Vain.»
Das war meine Zeit, denkt BABE. SCHLAMPE kann nicht mehr. Sie hat schon wieder den ganzen Tag so gut wie nichts gegessen, und die Aussicht auf das bevorstehende Sexabenteuer lässt die Kotze in ihr aufsteigen. Ach Gott, ach Gott, was soll nur aus ihr werden. Sie stakst in die Plüschecke, zu dem Stillen. Wie der so traurig dasitzt. Sie wird auf einmal ganz weich und hat positive Gefühle, von denen sie nicht genau weiß, was für welche das sind, im Zweifelsfall Muttergefühle. Mutterinstinkt. Sieschafft ihre Zigarette nur noch halb, sie ist zu schwach, die Kippe richtig auszudrücken. Ein Gespräch mit ihm anzufangen wäre zu mühsam, er eignet sich allenfalls als Kippenganzausdrücker oder Aschenbecherentleerer. Er macht auch keine Anstalten, ihr einen auszugeben, abgesehen davon, dass sowieso keine Flüssigkeit mehr in sie hineingeht, noch nicht mal Wasser, sie ist zu voll, bis obenhin voll. Es passt nichts mehr in sie hinein, und schon gar kein Sperma.
Der Stille würde gern was sagen, aber ihm fällt partout nichts ein.
Wenn von dem nicht gleich was kommt, geht sie wieder.
Wenn er nur nicht immer alleine sitzen muss! Er lehnt sich zurück, überlegt. Dabei legt er seinen Arm auf die Lehne, absichtslos, nie würde er es wagen, sie zu berühren. Doch SCHLAMPE verwechselt das mit
Anmache
und schiebt seinen Arm demonstrativ mit beiden Händen zurück. Dann verschwindet sie, sie wird nicht noch einmal zurückkehren.
Mit ungeheurer Wucht wird ihm die Unabänderlichkeit seines Schicksals bewusst. Wohin gehen, wohin fliehen? Für jemanden wie ihn gibt es nirgendwo eine Verwendung. Wieder nimmt er sein Handy und tippt eine SMS. Wem er wohl die ganze Zeit schreibt? Und vor allem was? «HILFE, HILFE, HILFE!» Den ganzen Abend schon, nichts anderes: «HILFE, HILFE, HILFE!» In seinem Kopf spulen sich die immer gleichen, von Viren zerfressenen Splittercodes ab: Error! Der ganze Mensch eine Fehlermeldung, B-Ware , dysfunktional, unvollständig auf die Welt gekommen,Gewölle, in Bruchstücken herausgepresst, und niemand hat sich die Mühe gemacht, das Puzzle richtig zusammenzufügen. Sein ganzes Leben eine unausgesetzte Schwächung, immer entwich irgendwas, ohne dass mal was hinzugekommen wäre. Nie ist etwas in Schwingung geraten, dabei hätte man nur mal eine Saite anzupfen müssen, früher, und gleich hätte das ganze Orchester mit eingestimmt. Er ist erfüllt, von oben bis unten ausgegossen mit diesem brennenden Schmerz, sein Herz ein blutender, schwerer Klumpen, der langsam nach unten durchsackt. Er steht auf und schleicht nach draußen, um sich dem Strom derer anzuschließen, die unverdaut wieder ausgespuckt wurden und nun verglühen in den Feuern der Einsamkeit. Wie lange erträgt man es, zu wissen, dass nichts mehr kommt?
Es wurde Zeit, woanders hinzugehen.
«Und nun?»
Janne schaute auf die Uhr. Viertel nach drei, meine Güte, so spät schon.
«Lass mal zum
Pudel
.»
Ohne sie wäre es mir genauso ergangen wie dem Stillen, das war mal sicher. In den Absturzkneipen am Hamburger Berg herrschten unfassbare Temperaturen. Vierzig Grad. Fünfzig Grad. Sechzig Grad. Grad, Grad, Grad! Die Leute gingen nur rein, um sich mit Getränken zu versorgen. Das arme Tresenpersonal! Wir überquerten die Reeperbahn und bogen an der Davidswache ab Richtung Hafen. Jeder Nutte standen exakt 30 Quadratzentimeter zur Verfügung. Käfighaltung. Und niemals ging ein Freier mit. Rätselhaft.Vielleicht werden die Frauen ja mittlerweile als Touristenattraktion von Vater Staat subventioniert.
Die Häuser an der Hafenstraße wirkten seltsam unbewohnt. Nirgendwo brannte Licht, kein Pieps war zu hören.
«Wohnen da überhaupt noch Leute?»
«Ja, sicher wohnen da Leute.»
«Und, haben die Mietverträge? Sind das reguläre Mieter?»
«Ich glaub schon.»
«Wer hat denn nun gewonnen? Die Stadt oder die Autonomen?»
«Weiß nicht. Beide beanspruchen das für sich. Ach Gott, ich weiß es auch nicht.»
«Ich dachte, du wärst eine Politische. Ich meine, könnte ich da auch hinziehen? Das interessiert mich, wie die Vergabe so läuft. Das entscheidet bestimmt ein Bewohnergremium.»
«Weiß ich nicht. Langweilig.»
«Von wegen langweilig. Kannst du dich noch dran erinnern, als Anfang der
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