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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Mozartjahr, oder war das im letzten?»
    «Für mich ist jedes Jahr Mozartjahr. Wenn man den Salzburgern Mozart wegnimmt, dann bleibt denen doch gar nichts mehr.»
    Irgendwie war es plötzlich wieder wie Dienstag. Angenehm. Unbefangen. Lustig. Unterhaltsam. Leicht. Ich hatte keine Angst mehr.
    «Schon nach zwölf. Wollen wir gleich mal los?»
    «Ja. Wohin geht’s denn überhaupt?»
    «Es gibt unterschiedliche Optionen.»
     
    Unterschiedliche Optionen, was sollte das denn heißen? Vielleicht hatte sie eine Überraschung vorbereitet. Junggesellenabschied oder so. Wir schlossen uns dem Menschenstrom an und ließen uns die Reeperbahn nach oben treiben. Die Stimmung auf der Straße hatte sich geändert, anderer Aggregatzustand, schnellere Taktung. Die Abendgäste   – Musicalbesucher, Kiezbummler, Touristen – zog es nach Hause oder ins Hotel, um der Nachtschicht Platz zu machen.
    Zwei befreundete Ehepaare aus Winsen an der Luhe, Anfang dreißig, haben im
Schmidts Tivoli
eine Veranstaltungbesucht und beschließen, weil die Stimmung heute ohne besonderen Grund
beschwingt
ist, entgegen ihrer Gewohnheit noch was trinken zu gehen, das machen sie sonst nie, normalerweise sind sie um diese Zeit schon längst auf dem Heimweg. Senile Stadtflucht. Da Vorsicht die Mutter der Porzellankiste ist, lassen sie einander nicht aus den Augen und sichern sich ab, wie Soldaten auf dem Rückzug. Wo kann man hier eigentlich noch so hingehen? Achselzucken, eigentlich kennen sie nur das Operettenhaus und die Davidswache. Guck mal, das
Herz von Sankt Pauli
, liegt eh auf dem Weg zum Parkhaus, scheint ganz friedlich zu sein, und erschossen wird man sicher auch nicht gleich. Sie haben gehört, dass man in gewissen Läden sein Glas nicht unbeaufsichtigt stehenlassen darf, weil einem sonst K.-o.-Tropfen hineingeschüttet werden. Sie fühlen sich nicht recht wohl und beeilen sich mit dem Trinken. Die Musik ist laut, wenigstens kennen sie die Titel, das hilft:
    Einen Stern, der deinen Namen trägt,
    Hoch am Himmelszelt,
    Den schenk ich dir heut Nacht,
    Einen Stern, der deinen Namen trägt,
    Alle Zeiten überlebt,
    Und über unsre Liebe wacht.
    Ein paar Leute tanzen. Dann traut sich auch eines der Pärchen. Seht her, geht doch! Triumphierend gucken sie zu ihren Freunden rüber, die etwas unbeholfen dastehen und verlegen «Heu, heu, heu» oder so ähnlich machen. Wenn schon nicht tanzen, dann wenigstens anfeuern.
Schwofen
nennen sie das daheim in Winsen. Harmlose Worte für eine harmlose Stimmung, mehr ist es nicht und wird es auch nicht werden, geht irgendwie nicht, natürliche Sperre. Ihre Laune wird zusehends besser, die Musik, der Alkohol, die anregende Samstagabendausgehatmosphäre. Sie bestellen noch was, mit Ausnahme des Fahrers, der Schorle trinkt, was ihm aber nichts ausmacht, denn er kann auch ohne Alkohol fröhlich sein. Leute, die Alkohol trinken müssen, um sich amüsieren zu können, haben
sein tief empfundenes Mitgefühl
. Statt funktionieren sagt er immer funktionuckeln. Ein Uhr. Jetzt müssen sie aber wirklich los. Husch, husch nach Hause. Als sie sich in ihren behaglichen Höhlen eingemuschelt haben, sind sie irgendwie doch erleichtert. Aber spannend war es. Das machen sie jetzt öfter! Machen sie eh nicht, aber egal. Der Fahrer überlegt, ob er nach dem elenden Schorlegesaufe ein Feierabendbier trinken soll, entscheidet sich aber dagegen, denn morgen Vormittag geht’s zum Fußball, und selbst
ein
Bier merkt man.
    Unschlüssig latschte ich neben Janne her.
    «Wo geht’s eigentlich hin?»
    «Später in den
Pudel
, aber dafür ist es noch zu früh. Wir können ja vorher noch in irgendeine Bumsbude.»
    «Was meinst du mit Bumsbude?»
    «Irgendeinen Schrottladen.»
    «Nix dagegen.»
    «Komm, wir gucken mal.»
    Eingekeilt zwischen den Massen, rückten wir im Schneckentempo weiter. Lange würde ich das Geschiebe und Gedränge, das Gegröle und die aufgeladene Stimmung nichtmehr ertragen. Wieso amüsierten sich eigentlich alle? Es gab doch überhaupt keinen Grund! Ich verstand es nicht und würde es nie verstehen, zwecklos, hoffnungsloser Fall. Ich sah mich schon morgens um sieben oder acht mit ausgeschlagenen Zähnen in irgendeinem Hauseingang am Hamburger Berg liegen, ab und an hebt eines der winzigen Schoßhündchen der Edelnutten das Bein und pisst mir ins Gesicht.
    «Sag mal, wollen wir nicht bald runter von der Reeperbahn? Ist ja furchtbar.»
    «Ja, nächste Möglichkeit.»
    Wir bogen ab in den Hamburger Berg und wieder links in

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