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Die Zunge Europas

Die Zunge Europas

Titel: Die Zunge Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Strunk
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Und nun? Irgendwann ist auch mal gut mit Labern. Sie strich mir flüchtig über den Arm und verschwand Richtung Tanzfläche. Ohne mich. Einfach stehengelassen. Wahrscheinlich wollte sie endlich allein sein, mal sehen, was ohne die Bremse alles passiert.
    Ich kannte mich nicht aus, hielt es aber durchaus für möglich, dass es im Nachtleben ein ungeschriebenes Gesetz gibt, dem zufolge ab einem bestimmten Zeitpunkt jederauf sich gestellt ist. Der Moment der Wahrheit, eine Mutprobe, die nicht zu gewinnen war, jedenfalls nicht von mir. Ich spürte, wie meine Schläfen heiß wurden, wund gescheuert von dem immer gleichen Gedanken: Warum kostet mich alles nur so unendlich viel Mühe? Eine wachsende Innenspannung, eine kaum noch erträgliche Unruhe drohte mich zu überwältigen, und nur mühsam gelang es mir, die dicht unter der Oberfläche liegende, blitzschnell aufflammende Verzweiflung unter Kontrolle zu halten. Die Beklemmung, die tief in meinem Inneren lebendig gewesen war, wartete die ganze Zeit darauf, mich beim geringsten Anzeichen von Schwäche zu überwältigen. Da die Rempeleien am Eingang immer ärger wurden, drängelte ich mich in die Nähe des D J-Pultes . Hier schien eine Art toter Punkt zu sein, ein Fleckchen, an dem ich wenigstens nicht im Weg stand. Wo fing die Tanzfläche an, wo hörte sie auf? Kein   – Rand   – Bedingung: die Vorstellung, dass das Universum endlich ist, aber keine Ränder besitzt. Die Tanzfläche war auch endlich und hatte auch keine Ränder.
    Den meisten Männern schien es wie mir zu gehen, eingemauert in der eigenen Erstarrung. Oder bildete ich mir das ein? Wenn es einem schlechtgeht, wünscht man sich, dass es allen anderen ebenso schlechtgeht. Ach Quatsch, viel schlechter. Verzerrte Wahrnehmung. Oder hatte ich etwa doch recht? Was war das denn: Männer mit mondblassen, erdrückten Gesichtern, die mit kleinen, gierigen, fiebrig glänzenden Augen das Treiben auf der Tanzfläche verfolgen, geplagt von dunklen, schroffen Phantasien, geschwächt vom zähen Ausharren, erschöpft von den Erniedrigungeneines Lebens, für das sie nicht gemacht sind, verformt von der Brutalität der Zurückweisung, kontaminiert durch den Sex, den sie nicht haben, ganz durcheinander vom Wahnsinn, den das Begehren gebärt, und tief drin dieses nie nachlassende, wütende Toben.
    Pump up da Shit!
    Schräg gegenüber ein Typ, der versucht, Blickkontakt mit einem Mädchen herzustellen. Als sich ihre Blicke treffen, verzieht er sein Gesicht, heraus kommt ein Reflex reiner Verzweiflung, eine heftige Verzerrung, die seine Züge zu einer grotesken Idiotenfresse entstellt. Das kannte ich ja. Das Mädchen weicht geschockt einen Schritt zurück, stumm und endgültig. Er hat alle seine Kraft an diese Aktion verschwendet, nun kann er das Elend seines irreparablen Innendefekts nicht mehr ertragen, und er verlässt den Club.
     
    Die Pofis übernehmen die Hoheit über das Nachtleben. Immer das Gleiche: Amateure verlieren, wenn sie in die Blendzone zwischen Tag und Nacht eintreten, einen Großteil ihrer Masse, wie Meteoriten, die in der Erdatmosphäre verglühen. Oder: Der doofe Scotty von «Raumschiff Enterprise» hat seine verdammte Technik mal wieder nicht im Griff. Die Forschercrew gerät auf dem unbekannten Planeten in Lebensgefahr. Jetzt bloß schnell zurück ins Raumschiff! Scotty beamt und beamt und beamt, doch der Beam ist verrostet oder zu schwach oder beides. Die Umrisse des Expeditionskorps bleiben schemenhaft, ein Expeditionsmitglied nach dem anderen wird von Aliens getötet.
    Profis machen sich durchlässig für die Energie des Raumes, verwandeln sie in eigenen Brennwert, blähen sich auf zu Sonnen mit eigener Gravitation und Trabanten- und Planetengefolge. Alle zehn Milliarden Neuronen feuern auf die gleiche Stelle, die innere Sekretion arbeitet auf Hochtouren. Die Ionenkanäle sind offen wie Scheunentore, ein Trommelfeuer aus Adrenalin und Noradrenalin, Oxytocin und Beta-Endorphin, fortschreitende Selbstverstärkung, synaptisches Zucken, neuronale Erregungen. Von gewaltigen Energieverdichtungen nach oben geworfen, gelangen sie auf den äußersten Kamm, treiben in rhapsodischer Steigerung dem Feuerball entgegen, werden selbst zu einem pulsierenden, purpurnen Fleck. Kurz bevor ihnen der Brennstoff ausgeht, ziehen sie sich zusammen, die Kontraktion presst die Atome zusammen und heizt sie erneut auf. Sie beginnen zu leuchten.
    It takes the physical to create the physical, so make yourself ready for da

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