Die zwei Monde: Roman (German Edition)
da.«
Ich kniff die Augen zusammen und spürte, wie sie sich mit Tränen füllten.
»Ich dich auch. Ich hab dich auch lieb.«
Epilog
Sonntag, 15. März
V ier Tage später wurde ich achtzehn Jahre alt, und Irene organisierte für mich ein Fest, das ich nie mehr vergessen werde. Es fand in dem Lokal statt, in das sie mich an jenem Abend geführt hatte, an dem wir zusammen ausgegangen waren. Es fing schon am Nachmittag an und dauerte bis nach Mitternacht.
Alle waren gekommen: Irene und Andrea, Mattia und Chiara, Serena, die mir ein Paar atemberaubend schöne Ohrringe aus Gold und Lapislazuli schenkte, und Casey, die mir zu Ehren auf der Harfe spielte und mir einen herrlichen Bildband über Irland überreichte.
Und Ivan, natürlich.
Ich trank mehr, als gut für mich war, lachte lauter, als ich für möglich gehalten hätte, und sang und tanzte mit Ivan, solange mich meine Beine hielten.
Und als dann später meine Freunde alle gegangen waren und sich mit Umarmungen und Küssen verabschiedet hatten, blieben nur er und ich im Lokal zurück, Schulter an Schulter auf den Kissen am Boden sitzend, vor uns der Tisch voller leerer Teller und Gläser. Das Personal des Lokals hatte schon die Lichter gedimmt. Bald würden auch wir gehen müssen.
Ein sonderbares Schweigen lag zwischen uns. Wir hatten bereits über alles gesprochen, was in der Vollmondnacht geschehen war. Mehr als einmal hatte ich die ganze Geschichte erzählt: Ivan, Irene, meinem Vater.
Ivan hatte sich furchtbar aufgeregt und sich völlig in Rage geredet, sodass wir einen ziemlich heftigen Streit hatten. Am Ende war aber alles in einer langen, wortlosen und dafür umso tränenreicheren Umarmung geendet.
Irene hingegen hatte mir mit äußerster Gespanntheit zugehört und mich immer wieder unterbrochen, um Fragen zu stellen. Sie hatte mich als verantwortungslose Irre beschimpft und mir dann all die furchtbaren Dinge aufgezählt, die mir hätten passieren können. Zu guter Letzt aber hatte auch sie mich in ihre Arme geschlossen. Von diesem Moment an hatte sie kein Wort mehr über die ganze Geschichte verloren, offenbar fest entschlossen, mich und wohl auch sich selbst in die Normalität zurückzuführen. Sie war mein Rettungsanker, jetzt und immer. Ich liebte sie heiß und innig.
Eine gewisse Normalität schien tatsächlich wieder in mein Leben einkehren zu wollen. Am Freitag waren Angela und ihre Freundinnen wieder in der Schule erschienen, alle am selben Tag; Elenas Gesicht sah noch ziemlich blau aus und sie bewegte sich mit extremer Vorsicht. Sie sprachen nicht mit mir, sie sahen mich nicht an. Ja, sie vermieden es sogar, sich im selben Korridor mit mir aufzuhalten, auch wenn er voller Leute war. Wir waren offenbar definitiv fertig miteinander. Ob sie Angst vor mir hatten oder sich schlichtweg weigerten, das zu glauben, was sie erlebt hatten, wusste ich nicht. Und es war mir auch egal.
Das Gespräch mit meinem Vater fand an einem Abend statt, als meine Mutter ausgegangen war: Wir setzten uns ins Wohnzimmer und ich erzählte ihm alles. Ich ließ nichts aus und hielt kein einziges Mal inne, nicht einmal, um mich zu fragen, ob er meinen Worten Glauben schenkte, oder was er am Ende meiner Geschichte mit mir anstellen würde, oder auch nur, wie es möglich war, dass es – nachdem ich mein ganzes Leben damit verbracht hatte, ihn zu ignorieren – jetzt so leicht für mich war, ihm alles zu sagen.
Aber er war in jener Nacht da gewesen. Ich weiß nicht, was er von alldem, was passiert war, gesehen hatte, ich wusste es damals nicht und weiß es auch heute nicht: Er hat nie darüber gesprochen. Aber er war da gewesen.
Er hörte mir bis zum Ende schweigend zu. Und auch dann schwieg er und ich ebenso. Was kann man schon sagen unter solchen Umständen?
»Bist du wütend auf mich?«, kam es mir endlich über die Lippen, und es klang wirklich wie die Frage eines Kindes.
Er schüttelte den Kopf; eine langsame, nachdenkliche Bewegung. »Sollte ich das sein?«
Die Frage brachte mich völlig aus der Fassung. Ich öffnete den Mund, fand aber keine Worte.
»Du hast mich nicht um Hilfe gebeten«, sagte er dann.
Ich schloss die Lippen wieder und senkte den Kopf. Das stimmte: Ich war losgezogen, um dem Unvorstellbaren ins Auge zu sehen, ohne auch nur im Geringsten auf die Idee zu kommen, meine Eltern um Beistand zu bitten. Obwohl ich fast gestorben wäre vor Angst, dass wir uns vielleicht nie wiedersehen würden. Ich hatte mich auf den Weg gemacht, weil ich ihnen und
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