Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Wimpernschlag, und blieb dann hinter mir stehen, direkt hinter meinem Rücken.
» Warum willst du mich nicht haben ?«
Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Er war glühend heiß. Ich zwang mich, mich nicht zu rühren.
»Weil du gefährlich bist. Weil du … weil du mich verändert hast.«
» Ich habe dich stark gemacht .«
»Du hast mich grausam gemacht! Du hast mich eine Gefahr werden lassen für die, die mir nahestehen, du hast mir die Fähigkeit genommen, mich zu kontrollieren, du hast mich …«
Der Wolf blitzte wieder vorbei und stand nun genau vor mir. Wir sahen uns an, nur zwei Handbreit voneinander entfernt. Aber es war nicht wie ein Blick in einen Spiegel. Das war nicht ich .
» Dachtest du, du bekommst die Macht, ohne einen Preis zu zahlen? Dachtest du, du könntest Wolf sein, nur wenn es dir passt ?«
Er drehte sich um und entfernte sich ein paar Schritte, den Blick wieder auf den Horizont gerichtet.
» Wir leben alle auch im Geist der anderen. Setz die Maske auf, und man wird dich an ihr erkennen. Wenn du Wolf sein willst, wirst du Wolf sein. Im Krieg und im Frieden. In der Liebe und im Hass. Du wirst Wolf sein auch im Schlaf .«
»Ich habe nicht um die Maske des Wolfes gebeten. Du bist es, der sie mir aufgezwungen hat.«
» Und du hast sie akzeptiert. Du hast sie immer wieder zu deinem Vorteil genutzt. Jetzt gehört sie dir .«
Ein Windstoß glitt über das Gelände und ließ die Blätter der Bäume rascheln und meine Haare flattern. Die Haare meines Spiegelbildes blieben unbeweglich.
In das Mondlicht getaucht, erschien die Veronica, die der Wolf war, wie eine Alabasterstatue, real und doch wieder nicht, überirdisch und unfassbar schön. Die Schönheit eines Orkans.
Beinahe unbewusst ließ ich den Blick zu Boden gleiten, dorthin, wo sich normalerweise der Schatten zeigt. Was ich sah, war der Schatten eines Wolfes, auf allen vieren kauernd, mitsamt seiner langen Schnauze und den spitzen Ohren.
Ich merkte, wie mir jedes Zeitgefühl abhandenkam. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit mir überhaupt noch blieb, in dieser von der irdischen Welt getrennten Dimension.
»Wenn du nicht aus freiem Willen gehst«, sagte ich mit lauter Stimme, »werde ich zulassen, dass der Ritus des Lupercals vollzogen wird. Wir befinden uns schon im Kreis, du und ich. Das weißt du sehr gut. Ich werde dem Priester ein Zeichen geben, und dann wird er mich mit der Peitsche schlagen, und du wirst ins Nichts zurückkehren.«
Der Wolf zuckte mit keiner Wimper. » Du würdest dein Leben opfern, nur um mich an dem meinen zu hindern ?«
»Ja, das würde ich. Du weißt, dass ich nicht als Wolf leben kann, unter den Menschen, die ich liebe.«
»Aber es könnte schon zu spät sein. Genau in diesem Moment kämpft der Unsterbliche mit dem Mann, der die verfluchte Peitsche trägt. Und du weißt sehr gut, wie mächtig er ist. Du weißt, dass der Priester ihn nicht besiegen kann . «
Ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte.
»Wenn der Conte gewinnen würde … wärst auch du sein Gefangener. Du würdest sein Sklave werden, sein Hund. Willst du das?«
Der Wolf wandte sich mir langsam zu, und zum ersten Mal sah ich auf seinem Gesicht – auf meinem Gesicht – die Spur eines Lächelns.
» Es wäre ein angemessener Preis, um nicht verbannt zu werden, um nicht dorthin zurückkehren zu müssen, wo es kein Leben gibt. Menschen wie er haben immer die Illusion, die Mächte bezähmen zu können. Aber am Ende sind immer wir es, die die Oberhand behalten. Weil wir ewig sind, und sie nur vorübergehend .«
»Der Conte lebt ewig. Er könnte dich für Jahrhunderte an die Leine nehmen.«
» Aber du bist es, Veronica. Du bist es. Und wenn dein Körper der Zeit zum Opfer fällt oder einer der Unternehmungen, in die der Unsterbliche dich zweifellos verwickeln wird, werde ich frei sein, frei von deinem Fleisch und von seiner Kette. Und ich werde trotzdem immer noch den Traum der Menschheit träumen .«
Ich schloss die Augen. »Warum tust du das? Warum sehnst du dich so sehr nach dem Leben der Menschen?«
» Wegen des Wunders, Veronica. Wegen des Fleisches, wegen des Blutes, wegen des Herzens, wegen der Farben, wegen der Musik, wegen der Verrücktheit. Weil eure Welt ein unvorstellbarer Traum ist und ich ihn für immer träumen will .«
Ich öffnete die Augen wieder und spielte meine letzte Karte aus. »Und wenn ich dir deinen Traum anbieten würde?«
Der Wolf sah mich an, eine Augenbraue leicht gehoben.
»Wenn ich dir
Weitere Kostenlose Bücher