Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)
Umherstehenden gelang es zwar noch, ihre Gedanken entweder auf Flucht oder auf Verteidigung zu richten, doch war nicht ein einziger von ihnen wahrhaftig in der Lage, sich dem Jagdflug des feindseligen Wesens ernstlich zu widersetzen. Selbst Grauhöcker und die anderen Bergriesen verharrten ungläubig und stumm auf ihren jeweiligen Plätzen, so als hätten ihre steinernen Leiber plötzlich Wurzeln im Untergrund geschlagen.
So geschah es, dass der schwarze Drache auf die Zwergenkrieger hinabstieß, etliche von ihnen durch die Wucht seiner Landung hinfortwirbelte und versprengte und zugleich Bragi als sein auserkorenes Opfer mit den speerlangen Krallen seiner rechten Pranke packte. Während er sich niederließ, quoll milchiger Rauch aus seinen Nüstern, und sein schuppiger Rücken krümmte sich wie bei einem Panther vor dem Sprung, was er wohl tat, um den übrigen Anwesenden auf dem Kampfplatz seine Entschlossenheit zu verdeutlichen.
„Engelsknechte!“, krächzte die achtungsgebietende Gestalt, und in ihrer Stimme lag eine Unbarmherzigkeit und uralte Bosheit, die allzu lange auf ihre Offenbarung gewartet hatte. „Ihr Zwerge habt einst meine Mutter erschlagen, und Ihr Menschen zeichnet für den Tod meines Vaters verantwortlich! Doch diesen Winter ist die Zeit der Rache gekommen! Utgorth wird all seine Macht entfesseln und Eure Knochen zermalmen, und ich will mich weiden an Eurem Fleisch, bis mein Magen gesättigt ist von Eurem Blut!“
Mit einem Mal schrie Meloro auf vor Schmerz und Wut. Bragi, der sich in der Umklammerung der Drachenklaue gewunden hatte und dem sein Todeskampf anzusehen war, hatte seine letzten Kräfte gebraucht und seinen Hammer gegen den Peiniger geschwungen. Daraufhin hatte der Stahl die Pranke der Kreatur schwer getroffen und anscheinend einige Knochen zertrümmert.
Der Drache ließ den Zwergenherrscher fallen, doch erholte er sich von der Verletzung rasch. Er sperrte sein garstiges, nach den langsam verwesenden Kadavern unzähliger Opfer riechendes, schnabelartiges Maul weit auf, ließ sein Haupt hernieder schnellen und schlug seine vergilbenden Fänge in seinen Gegner. Trotz seiner schweren Panzerung wurde Bragis Leib augenblicklich zerschunden und zerrissen, und eine große Menge seines Blutes durchnässte seine Kleidung und seinen würdevollen Bart.
Im nächsten Augenblick stürmte eine wütende Meute aus zwergischen Soldaten herbei, um ihrem König beizustehen. Ebenso hatten sich die Rhodrim von dem Schrecken, der über sie gekommen war, erholt und richteten ihre Bogen auf das geflügelte, schwarze Geschöpf. Meloro erschrak, als er die Waffen der tobenden, auf ihn zurasenden Krieger aufblitzen sah und sich die ersten Pfeile in seine dicke, ledrige Haut bohrten. Zudem peinigte ihn die lahme, wunde Klaue, die er dem sterbenden Zwerg zu verdanken hatte. So ließ er Bragi abermals fallen und erhob sichim gleichen Atemzug zu einem kraftvollen Steigflug, der ihn binnen Sekunden in eine außerordentliche Höhe katapultierte. Danach drehte er noch einmal bei, sodass er in Hörweite seiner am Boden verbliebenen, aus seiner Warte winzig erscheinenden Widersacher gelangte.
„In zwanzig Tagen wird der Stille Wald, in welchem die letzten Elben sich angstvoll verkriechen vor dem Untergang, mein Ziel sein! Seid dort, wenn Ihr Euren König rächen wollt, Zwerge, oder kehrt in das Goldene Gebirge zurück, wenn Ihr es lieber seht, dass dort Eure letzte Schlacht stattfinden soll!“
Mit diesen Worten drehte das gewaltige Wesen, dessen fliegender Körper halb Drache und halb Harpyie war, ab und gewann abermals schnell an Höhe. Schließlich entschwand es in der schwarzen Wolke, die noch immer über der Welt hing.
In den vor Zorn verzerrten Gesichtern der Zwerge aber, die dem Feind noch lange hinterher sahen, stand zu lesen, dass sich alsbald eine Welle der Vergeltung in die Nacht ergießen würde. Der Krieg gegen Utgorth hatte sich gewandelt, aus Mêlca-Druîn war nunmehr
Mêlca-Mazarbul
, der Krieg der Rache, geworden.
Drittes Kapitel: Zwei tote Könige
Mit unsäglich langsamen, schlurfenden Schritten schleppte sich Kheron, der König von Lemuria, durch sein Gemach, um sich endlich in dem mit weichen Kissen gepolsterten, hochlehnigen Rattanstuhl niederzulassen, welchen er mittlerweile von all seinen Sitzgelegenheiten bevorzugte. Anschließend stieß er ein langes, tiefes Keuchen aus, so als ob er gerade eine große Anstrengung hinter sich gebracht hätte, und danach ein rasselndes Röcheln und
Weitere Kostenlose Bücher