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Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)

Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition)

Titel: Die Zwei Schwerter, Band 3: Der Marsch der Zwerge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger de Grandpair
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voranzutreiben.
    „Fürwahr, die Wildheit und Unbeherrschtheit der Jugend ist vergleichbar mit der Blindheit, denn beide schicken einen in die Verderbnis, die in einer großen Spalte unmittelbar vor den eigenen Füßen klafft und doch nicht gesehen werden kann“, erwiderte Kheron tonlos und matt, während er seine Augen geschlossen und seinen von der edlen Königskrone gezierten Kopf tief gesenkt hielt. „Auch ich hatte einen solchen Sohn, wenn ich mich recht entsinne, doch hat man ihn mir genommen, obgleich ich einige der Umstände, die dazu führten, nicht mehr benennen kann. Meine Gattin redet seither nicht mehr viel, denn sie leidet unter dem Verlust ähnlich schwer wie ich selbst, und auch meine Tochter ist mir fremd geworden und gibt mir die Schuld am Tod ihres Bruders, wenn sie auch keine offene Anklage gegen mich erhebt und immer wieder versucht, mir mit Freundlichkeit zu begegnen. Und was meinen Thron und alle Juwelen angeht, die selbiger mit sich bringt, ist deren heller Schein für mich erloschen und einzig noch kalt und stumpf. Nur noch die Erinnerung an den ungetrübten Glanz vergangener Tage verbleibt mir jetzt, da die Katastrophe unumgänglich ist. Die Zeit Kherons des Strengen zerfällt zu trauriger Asche, und niemand bleibt übrig, der fähig ist zu herrschen an meiner Statt.
    Sollte mit dem Winter wahrhaftig ein schrecklicher Feind über uns kommen, so sehe ich, dass mein geliebtes Volk verzagen wird vor Müdigkeit und Angst und nur noch darauf hoffen kann, dass die hohen Mauern, die diese Stadt umgeben, dem Ansturm widerstehen werden wenigstens für einige Zeit. Dann endlich endet alles, und die Engel können sich fragen, ob es einst die richtige Entscheidung war, uns Menschen von unseren entfernten Inseln hierher in jene feindselige und verführerische Welt zu entsenden ...“
    Für einen kurzen Augenblick schlug Kheron die Lider auf, und der Offizier hoffte auf eine Fortsetzung seiner Rede mit einem möglicherweise erfreulicheren Inhalt. Der Blick, der vondem glasigen, rotgeäderten Weiß der alten Augen abzulesen war, war jedoch einzig leer, verloren im Nebel trübsinniger, selbstzermarternder Gedanken. Für eine Weile betrachtete er scheinbar versunken das Spiel einer Flamme, die zu seiner Linken in einer Leuchte zwischen den blauen und gelben Wandbehängen brannte, ehe er seine Augen wieder versiegelte und das wenige an Haut und Fleisch und Knochen, das seinem Leib noch geblieben war, noch mehr als zuvor zusammensacken ließ. Er wirkte wie ein Wanderer, der sich in irgendeinem dunklen Tal verirrt hatte und durch kein Suchen und Rufen mehr in die wirkliche Welt zurückzubringen war.
    In Wahrheit aber kreisten seine Gedanken, ebenso wie in seinen Träumen, die ihn in jeder Nacht quälten, um Aidan, den er verloren und zu Grabe getragen hatte. Er kam sich nicht mehr vor wie ein König, dem trotz allen persönlichen Ungemachs zahlreiche Pflichten und Verantwortungen auferlegt waren, sondern nur noch wie ein verängstigter Vater, dem nichts geblieben war als das Bild des leblosen Körpers seines Sohnes, den er vom Säuglingsalter an hatte aufwachsen sehen. Verzerrt formten sich die Erinnerungen an den furchtbaren Tag in der Familiengruft von Orons Geschlecht in seinem Geist, und er sah neuerlich, wie rund um die sorgfältig geschminkte Leiche wächserne Kerzen brannten in einem rötlich-gelben Licht und die unverändert schönen, schwarzen Haare des Thronerben glänzen ließen in ihrem Schein.
    Obron schaute derweil zum Fenster hinaus. Der untergehende Mond wurde durch eine große, dahinziehende Wolke verdunkelt, bis er plötzlich wieder klarer hervortrat. Die Welt wirkte seltsam eintönig und leer und dennoch erdrückend und schwer, und mit einem Mal ergriff ihn eine große Wut. Er fasste in den Aufschlag seiner Uniformjacke, zog einen Dolch daraus hervor und drehte sich um. Sein Gesicht sah daraufhin nicht mehr aus wie das seine, es war nicht mehr dasjenige des loyalen Verteidigers des Königreiches und das eines Mannes, der einmal geglaubt hatte, dass Fleiß und Gerechtigkeit die höchsten Fundamente einer jeden Gemeinschaft sein mussten.
    Die ganze Gestalt des Heeresmeisters war umwölkt von Furcht, als er von hinten an den Sitz des Königs herantrat, beflissen, sein Werk zu vollenden. Es war nicht zu sagen, ob er in diesen Augenblicken noch er selbst war oder die bloße Marionette einer fremden Macht, die sich entschieden hatte, sich an diesem Ort nicht selbst zu zeigen.
    Ein Pfeil sanften

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