Die zweite Fahrt zur Schatzinsel
im
Taschentuch und den Lippen von Meisters Töchterlein auf den meinen, und den
nächsten ein barfüßiger Ausreißer, den Bauch voller Rüben und das Genick fix
und fertig zum Aufhängen beim nächsten Geschworenengericht. Ich machte mich
wieder auf, eh mir die Tränen in die Augen schießen konnten.
Ich wußte nicht, wie weit ich
gekommen war, aber ich konnte an der Sonne sehen, daß ich noch nach Westen
ging. Ich kam an wenigen Bauernhöfen vorbei und hielt mich aus Angst vor den
Hunden in sicherer Entfernung. Meine Eingeweide knurrten, und mir war
schwindlig vor Hunger, als ich weiterging. Ich strebte nur danach, so viele
Meilen wie möglich zwischen mich und die Prämienjäger zu bringen, die hinter
mir her waren.
Eines Tages geriet ich gegen
Abend in ansteigendes Gelände, wo man Schafe hält, und erklomm das Gebiet, in
dem Sumpfschnepfe und Brachvogel herrschten. Ich sah niemanden und schlief in
der Nacht in einer zerfallenen Steinhütte. Am nächsten Tag hing der Nebel tief,
und ich wagte mich nicht weiter, weil ich weder Norden, Osten, Süden oder
Westen ausmachen konnte. Doch ein weiterer Tag mit Kälte und Hunger zwang mich
hinaus, und ich tappte weiter, glitt auf Hügeln aus, fiel in Wasserrinnen und
watete einmal knietief in einen Sumpf.
Doch damit nicht genug. Gegen
Mittag lichtete sich der Nebel. Aber ich war immer noch in der Nähe der Hütte,
ich war im Kreis gegangen. Ich wußte, daß ich aus dem Landstrich der Moore
hinauskommen mußte, wenn ich nicht zugrunde gehen wollte. Im Süden und Westen
lagen weitere Heide- und Sumpfgebiete. Im Osten waren Bridgewater und die
Menschenfänger. Im Norden, wenn ich mich nicht irrte, lag die See. Ich hatte
keine Wahl. So schnell ich konnte und solange es hell war, eilte ich seewärts.
Die Sonne wärmte mich ein wenig, der Dreck verkrustete an meinen Beinen, und
meine Eingeweide knurrten mich an. Mein Kopf fieberte vor Schmerzen meines
nicht verheilten Rückens, vor Erschöpfung und Hunger. Ich fing an, Häuser am
Horizont zu sehen, die verschwanden, als ich auf sie zurannte; dann sah ich
Figuren, die ich kannte, den alten John und Tilly, die lächelten und winkten
und sich dann auflösten und mich allein weiterstolpern ließen.
Halb verrückt vor Hunger und
Fieber erreichte ich im Zwielicht eine holprige Straße, die von Osten nach
Westen verlief. Ich wandte mich der untergehenden Sonne entgegen — meine letzte
bewußte Tat an jenem Tag — und trottete weiter, während mir die Sonnenstrahlen
voll in die Augen fielen, bis mein Schädel von ihrem roten Licht ausgefüllt zu
sein schien. Dann, als der letzte Schein verlosch, hatte ich eine Vision:
Riesengroß tauchte etwas am Horizont auf.
Auf der Straße vor mir erschien
eine Kutsche, ein großes vergoldetes Ding mit vier tänzelnden dunklen Pferden.
Auf dem Kutschbock saß, die Peitsche schwingend, ein riesiger Kutscher in
blauem Mantel und Krempenhut.
Das Gesicht darunter war so schwarz
wie das Gespann, das er antrieb oder wie der Prinz der Dunkelheit selbst.
Voller Entsetzen rannte ich wie ein kopfloses Huhn über die Straße. Das Ende
des Peitschenstieles streifte mich am Schulterblatt.
Ich sank nieder, und die ganze
Szene verschwand vor meinen Augen.
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4 .
Das Leben nach dem Tode
Ich öffnete die Augen halb und
blickte geradewegs in das Gesicht des Teufels. Er hielt mich in den Armen. Ich
bin ein hoffnungsloser Fall, dachte ich. Er nimmt mich mit, weil ich den jungen
Oakleigh ermordet habe. Aber ich war zu schwach zum Kämpfen, und er hielt mich
liebevoll. So lag ich still und wartete darauf, daß er seine riesigen Flügel
ausbreitete und mich davontrüge. Er sprach ein paar Worte, tief wie ein
Orgelton, doch ich konnte nicht ausmachen, was sie bedeuteten.
„Heb den Jungen herauf,
Daniel“, sagte jemand über uns sehr kühl und trocken. Ah, es war also nicht der
Teufel, der mich hielt, sondern nur ein Untergebener. Ich machte die Augen
weiter auf und erblickte hinter ihm was wie eine Kutsche aussah, die Tür stand
offen. Ein Gesicht linste heraus, soweit ich sehen konnte, klug und freundlich,
mit leuchtenden, schwarzen Augen unter einer weißen Perücke. Die Perücke
rutschte zur Seite, und ich sah kurzgeschorenes graues Haar. Aha, dachte ich,
mein Schicksal hat sich wieder gewendet. Ich bin nicht auf dem Weg zur Hölle,
sondern zu dem anderen überirdischen Ort.
Der Erzengel Gabriel, oder war
es der heilige Petrus, half mir in die Kutsche. Sankt Daniel
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