Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
verschaffen. Also machte Wolf auf dem Absatz kehrt, zurück in den Fahrstuhl und klopfte zwei Minuten später leicht verärgert doch an Professor Sanders Tür.
„Ah, Herr Kollege, treten Sie näher, nehmen Sie Platz.“
Sanders erhob sich gemäßigt aus seinem dicken ledernden Schreibtischsessel.
„Danke Professor, nur ein paar Worte, aber erst mal guten Tag.“
Sanders nickte.
„Herr Professor, wie wollen wir es künftig halten? Mir wäre es lieb, wenn die beiden Pfleger, solange Sie es für wichtig erachten, zu meinen Terminen schon oben an der Tür sind und mir öffnen. So verliere ich keine wertvolle Zeit, indem ich sie erst suchen muss.“
Der Professor sah ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an. Wolf war sicher, dass er genau verstanden hatte, was er ihm im Subtext mitteilen wollte.
„Sie haben recht, natürlich, einen Augenblick.“
Sanders griff zum Telefon und gab die entsprechende Anweisung.
„Ich werde Ihnen in den nächsten Tagen berichten, ob es zu Fortschritten gekommen ist.“
Wolf streckte Sanders die Hand entgegen. Der Professor nahm sie sichtlich verblüfft. Aber er sagte nichts. Legte seine andere Hand auf Wolfs Schulter und führte ihn zu Tür.
Als er erneut den Fahrstuhl verließ, saßen die beiden Pfleger tatsächlich vor ihrer Tür. Wolf spürte plötzlich sein Herz klopfen. So, wie er in den Anfängen seiner Therapeutenlaufbahn auch vor jeder neuen Sitzung und jedem neuen Klienten aufgeregt war. Der Zustand hatte sich aber seit Jahren beruhigt, umso verwunderter war er jetzt. Was machte ihn nervös? War es die Bewährung, unter der er stand? Ob er es schaffen würde? Oder war sie es? Er konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn er hatte ihre Zimmertüre erreicht. Ein Pfleger erhob sich und schloss ihm auf. Wolf klopfte trotzdem aus purer Höflichkeit an die Tür, ehe er sie öffnete. Sein Blick blieb gleich an ihr kleben. Sie saß auf dem Bett, trug ein zerknittertes Nachthemd und sah verheult aus. Intuitiv sah er auf seine Armbanduhr. War er zu früh? Der Termin lag auf elf Uhr und das war es jetzt.
„ Guten Morgen, Frau Seitz, hat man Sie nicht über mein Kommen informiert?“, fragte er noch mehr verärgert. So etwas durfte nicht vorkommen, das würde er gleich unterbinden. Heute sollte wohl nicht sein Tag werden.
„ Doch, doch, alles klar“, knurrte sie und schlurfte in ihren schwarzen Puschen vorbei in das kleine angrenzende Bad. Oh Gott, dachte Wolf, wie viel Zeit würde er verlieren, wenn sie jetzt erst mit der Morgentoilette anfing. Er hörte die Toilettenspülung und kurz darauf den Wasserhahn rauschen. Sie putzte sich die Zähne. Er vernahm es an ihren gurgelnden Geräuschen. Kurz darauf kam sie in einem weißen seidenen Morgenmantel wieder heraus. Nun schaute sie schon unvergleichlich besser aus.
Sie zog den Gürtel fest um ihre schlanke Taille und deutete ihm mit einem Kopfnicken, sich zu setzen. Die Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen, der sie edel und vornehm wirken ließ. Vor allem der seidene Morgenmantel setzte das i-Tüpfelchen. Sie sah umwerfend aus und blickte ihn unverwandt an. Wolf hielt ihren Augen mit einem neutralen Gesichtsausdruck stand, bis sie sich ihm gegenüber in ihre Ecke niedergelassen hatte und sogleich den Mund öffnete.
„Ein neuer Versuch heute?“
„ Kein Versuch, der Anfang unserer gemeinsamen Reise. Wenn Sie das möchten“, fügte er nach einigen Sekunden nach.“
Eva lachte laut auf.
„Sie Witzbold. Ich reise alleine.“
„ Ich sagte Ihnen schon beim letzten Mal, lassen Sie die lieb gemeinten Ausdrücke.“
Eva schmunzelte. Wolf glaubte, einen Anflug von Sympathie in ihren Augen aufflackern zu sehen. Weiter, dachte er. „Ich mag das nämlich gar nicht. Es erinnert mich an meine Kindheit.“
Er tat so, ein kleiner Trick, den er sich manchmal genehmigte, als ginge er in sich. Beobachtete aber aus den Augenschlitzen, wie sie sich anspannte. Ein Zeichen, dass sie neugierig war, bereit, ihm zuzuhören.
„ Mein Vater, Gott hab ihn selig, gab mir ständig irgendwelche Namen. Er war darin sehr kreativ und sehr verletzend. Hosenscheißer war noch eines seiner harmlosesten.“
Eva verzog den Mund wie zu einem bedauernswerten Lächeln und kreuzte ihre Arme über den Bauch.
„Oder Nichtsnutz. Wenn er wütend war, hieß ich Klowurm oder Kackfrosch. Am schlimmsten traf es mich, wenn er mich geistig Minderbemittelter oder intellektueller Tiefflieger nannte. Das war schon später, als ich
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