Die zweite Kreuzigung
Krieg gegen sie zu führen. Wenn sie den Krieg gewinnen, dann werden sie die Moscheen zerstören, die Gebildeten töten und alle Muslime zu Sklavenmachen. Sie werden Soldaten in die Wüste schicken, eure Frauen und Kinder als Sklaven in ihr Land verschleppen, wo es immer dunkel und kalt ist.
Meine Landsleute sind keine Muslime, aber wir sind das größte Volk der Erde und waren immer Freunde der Muslime, wohin wir auch gingen. Wir sind gekommen, um mit euch zu sprechen. Wir brauchen eure Hilfe, um diesen Krieg zu führen, und wir bringen Geschenke zum Zeichen unserer Freundschaft.«
So redete er etwa zehn Minuten lang. Die Tuareg ließen nicht erkennen, was sie dachten. Vielleicht machten sie sich innerlich über ihn lustig. Oder überlegten, wie sie ihn töten könnten.
Der Anislem, ein gebildeter Mann, der den Koran und die Traditionen des Propheten in den Schulen von Timbuktu studiert hatte, musterte die Ungläubigen eingehend. Sein Rang war an den Ledertäschchen mit dem Koran und anderen heiligen Schriften zu erkennen, die er über seine Schultern geschlungen trug. In der linken Hand hielt er einen Rosenkranz aus Bernstein, dessen Kugeln er in seinen knorrigen Fingern drehte. Sein Name war Scheich Harun agg Da’ud. Er hatte viele Jahre unter den Kel Adrar in Ghadames weiter im Norden gelebt. Seit langem diente er den Menschen von Ain Suleiman, zelebrierte Hochzeiten, begrub die Toten, schrieb Koranverse, die als Amulette getragen wurden, und führte die alten Tifinagh-Schriften fort, die die Geheimnisse der Oase enthielten. In diesen Fremden sah er wie in den Italienern, denen er in Ghadames, und den Franzosen, denen er in Timbuktu begegnet war, eine Bedrohung seines Ansehens und seiner Autorität.
Als Gerald geendet hatte, bewahrte der Anführer eine Weile Schweigen. Gerüchte von dem Krieg im Norden warenbereits zu ihm gedrungen, aber er wusste nicht, wer dort gegen wen kämpfte, und das Ergebnis war ihm gleichgültig. Vielleicht sagte der Fremde die Wahrheit, vielleicht auch nicht. Immerhin war er ein Ungläubiger, der Erste, den er in seinem Leben sah.
Gerald flüsterte Leary zu, er möge mit Bill Donaldson zu den LKWs zurückgehen und ein paar Dinge als Geschenke bringen. Das Schweigen hielt an.
Die Männer waren mit einem Armvoll einfacher Dinge bald zurück. Die legten sie vor dem Anführer nieder. Gerald präsentierte die krude Mischung militärischer Habseligkeiten eine nach der anderen: zwei Paar Wüstensandalen indischen Ursprungs, die jeder Soldat trug, einen von den Deutschen erbeuteten Kanister, eine Sandbrille für den Anführer, den kleinen Wüstenherd aus Donaldsons Wagen, ein Zelt und ein paar von ihren Verpflegungsrationen.
Am Ende nahm Gerald seine eigene 38er Smith & Wesson ab und hielt sie dem Anführer samt Tasche und Halfter hin.
»Ich zeige dir, wie man sie lädt und damit schießt«, sagte er dabei.
Sein Gegenüber bewegte sich immer noch nicht. Selbst der ärmste Tuareg hatte seinen Stolz. Gerald musste warten. Auf den Dünen tanzten Sandschleier in einer leichten Brise. Die Palmen raschelten mit ihren Wedeln. Irgendwo schrie ein Baby. Es dürfte nicht schwer sein, den Ort mit Gewalt zu erobern, dachte Gerald. Auf jeden Chevvy waren zwei luftgekühlte 30er Browning-MGs montiert. Ein Kommandeur der Waffen-SS hätte sie sicher eingesetzt. Gerald betete inbrünstig, das nicht tun zu müssen.
Dann streckte der Anführer der Tuareg die Hand aus und nahm die Waffe entgegen.
»Danke«, sagte er. »Ich schätze das sehr. Wie auch alle anderen Geschenke.«
»Es wird mehr und bessere geben, wenn du uns hilfst.«
»Mein Name ist Si Musa agg Isa Iskakkghan. Ich herrsche über diese Oase. Du und deine Männer sind uns willkommen. Über die anderen Dinge reden wir später.«
In diesem Augenblick kam eine junge Frau, die sich bisher mit den anderen im Hintergrund gehalten hatte, nach vorn gelaufen. Sie war sichtlich erregt, und als Gerald genauer hinsah, bemerkte er, dass dies auch auf die anderen Frauen zutraf.
»Si Musa!«, rief sie. »Frag die Fremden, ob sie Medizin bei sich haben. Vielleicht wissen sie, wie man unseren Sohn retten kann.«
Musa wandte sich nicht nach ihr um. Die Frau war dunkelhäutig und schön, hatte blendend weiße Zähne und große Augen, die vom Weinen gerötet waren.
»Geh zu den Frauen zurück, A’isha«, sagte ihr Ehemann. »Scheich Harun hat für unser Kind gebetet. Er wird es später wieder tun. Wenn Gott will, wird Yaqub am Leben bleiben. Wenn nicht,
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