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Die zweite Kreuzigung

Die zweite Kreuzigung

Titel: Die zweite Kreuzigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu sagen. Wenn Sie nicht wissen, wovon ich rede, was ich kaum glaube, dann wird Ihre Nichte großen Ärger bekommen.«
    Er wandte sich zu Sarah um, die jetzt zitterte wie Espenlaub, da die Kälte sie ganz und gar durchdrungen hatte. Das Tier presste ihr die Arme an den Körper und hielt sie von hinten fest. Ihre Haut und ihre Lippen färbten sichblau, immer wieder überliefen heftige Schauer ihren Körper. Ethan schaute ihr in die Augen und erschrak tief, als er den Schrecken und die Hilflosigkeit sah, die aus ihnen sprachen.
    »Sag es ihnen, Ethan. Was immer es sein mag, dies ist es nicht wert.«
    »Sie versprechen, dass Sie sie gehen lassen, sobald die Reliquien in Ihrer Hand sind?«
    »Selbstverständlich. Warum sollte ich mich mit ihr belasten? Lukács und ich sind verschwunden, sobald Sie die Reliquien herausgegeben haben. Glauben Sie mir, Sie werden nie wieder etwas von uns hören. Ihre aufgeblasene Polizei hat keine Chance, uns auf die Spur zu kommen. Vielleicht teilen Sie ihr mit, dass sie sich die Mühe sparen kann. Und jetzt heraus mit der Sprache: Wo sind die Sachen?«
    Ethan verriet es ihnen.
    Der Schöne maß ihn mit einem verblüfften Blick.
    »Woher wissen Sie das?«, fragte er.
    »Ich … habe es ihm gesagt«, erklärte Sarah. »Die Reliquien sind immer noch dort. Sie können sie haben. Ich hoffe, sie machen Sie glücklich. Und bringen Sie näher zu Gott.«
    Der Sarkasmus prallte an den Männern ab.
    »Dann führen Sie uns jetzt dorthin«, sagte der Blonde.
    »Ich muss erst den Schlüssel zu dem Mausoleum finden.«
    »Dann sollten Sie sich beeilen, bevor uns die kleine Lady noch erfriert.«
     
    Ethan nahm sich zuerst die alte Abstellkammer neben der Küche vor, wo seit Generationen ein Schränkchen an derWand angebracht war. Jeder Schlüssel, den es je in Woodmancote Hall gegeben hatte, hing dort an einem Haken oder lag auf einem Haufen mit weiteren aus Eisen und Messing. Ethan sah sie systematisch durch. Der Schöne und das Biest und Sarah, in ihrer Gewalt, schauten ihm dabei über die Schulter. Ethan hatte darauf bestanden, dass sie sich in eine Wolldecke hüllen und in Pantoffeln schlüpfen durfte. Das war aber auch das einzige Zugeständnis, und sie konnten es jederzeit wieder rückgängig machen.
    Der Schlüssel zum Totenhaus der Familie hing getrennt von den anderen an einer Seite des Schränkchens. Er war mit einem Pappkärtchen in kupfernem Rahmen gekennzeichnet und befand sich offenbar schon Jahre lang unberührt dort. Der große Messingschlüssel wurde eindeutig nur sehr selten benutzt. Die vorletzte Tote, die man dort zur Ruhe gebettet hatte, war Geralds Frau Edith gewesen. Sie hatte einen der letzten freien Plätze erhalten, wo man auch Gerald beisetzen wollte, wenn es so weit war. Bei Ediths Tod war Ethan dreiundzwanzig Jahre alt gewesen. Er hatte sie nicht sehr gut gekannt und erinnerte sich an sie eigentlich nur aus seiner Kinderzeit.
    Bei der letzten Trauerfeier war er ein erwachsener Mann von dreißig Jahren, der hemmungslos schluchzte, umgeben von Freunden und Verwandten, die nichts tun konnten, um seinen Schmerz zu lindern. Unter Tränen hatte er mit anderen Abis Sarg bis zu seinem endgültigen Bestimmungsort im Mausoleum getragen. Als Letzter hatte er die Tür des kleinen Bauwerks eigenhändig verschlossen.
    »Gehen wir es an«, sagte er und trat als Erster ins Freie.
     
    Es hatte aufgehört zu schneien, aber die Luft war frostig kalt. Am Himmel zog der Mond schweigend seine Bahn,und es war, als gehe die bittere Kälte von ihm aus, der sein weißes Licht auf den unberührten Schnee ergoss. Sarah glaubte, sie müsse erfrieren. Diesen Weg waren sie am Abend zuvor zur Mitternachtsmesse gegangen. Sie hatte sich bei Ethan untergehakt und sich sehr wohl dabei gefühlt. Jetzt aber war jeder Trost, jedes festliche Gefühl für die Heiligkeit dieses Tages wie ausgelöscht. Es blieben die beißende Kälte und die beiden Männer, die sie vergewaltigen und sie töten würden wie ein Rennpferd mit gebrochenen Beinen.
    Das Mausoleum lag am Ende einer etwas abschüssigen Rasenfläche neben dem von Weiden umstandenen Beecham Water, einem größeren Teich, den manche einen kleinen See nannten und andere einen zu groß geratenen Tümpel. Das relativ unscheinbare Bauwerk aus Marmor, das man im 18. Jahrhundert errichtet hatte, barg die sterblichen Hüllen von Generationen der Familie Usherwood, Männern und Frauen, Kindern und Enkeln. Die ersten Särge waren Ende des 19. Jahrhunderts von dort

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