Die zweite Kreuzigung
und wie er sie ereilt hatte, von dem Augenblick, als der Schmerz sie traf, von der Wucht eines Messerstichs oder dem Aufschlag der Kugel auf den blanken Schädel. Seine Frau Abi stand traurig und still unter ihnen, hinter ihr sein Großvater, blutend, aschfahl und mit einem tödlichen Grinsen.
Mit einem Schreck erwachte er. Die Bilder der Toten noch vor den Augen, ihre Laute noch in den Ohren, versuchte er zu sich zu kommen. Dann vernahm er ein Geräusch und wusste sofort, dass es im Zimmer war. Jemand bewegte sich in der Dunkelheit.
»Sarah?«, murmelte er, weil er glaubte, sie suche den Weg zum Bad. »Mach das Licht an. Sonst stolperst du noch über mich.«
Dann ein Schrei, und das Deckenlicht wurde eingeschaltet. Der Schein war zu grell für seine verschlafenen Augen. Er konnte sie kaum öffnen, denn die Strahlen fuhren in seine Pupillen wie feine Glassplitter. Ein zweiter Schrei folgte. Das war Sarah. Jetzt riss er mit aller Kraft die Augen auf.
Zwei Männer standen über Sarah gebeugt, die rücklings auf dem Bett lag. Einer knipste gerade seine Taschenlampe aus. Der andere griff nach Sarahs Arm und wollte sie unter der Decke hervorziehen, während sie sich heftig wehrte. Sie hielt mit ihren Beinen die Decke fest, aber er zerrte sie Zentimeter für Zentimeter hervor.
Ethan suchte sich von dem Schlafsack zu befreien. Es war eisig kalt im Raum, und schließlich kam er auf die Beine.
Der Mann, der die Taschenlampe gehalten hatte, wandte sich zu ihm um.
»Setzen Sie sich hin«, sagte er. »Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«
Als Ethan aufblickte, sah er, dass der Mann eine Pistole auf ihn gerichtet hatte. In einem Winkel des Gehirns registrierte er, dass der Kerl mit ausländischem Akzent sprach, einem deutschen oder skandinavischen vielleicht.
»Wer sind Sie, verdammt noch mal?«, fragte er. »Was geht hier vor?«
»Hier stelle ich die Fragen«, antwortete der Bewaffnete. »Tun Sie, was ich Ihnen sage.«
Dem anderen war es inzwischen gelungen, Sarah aus dem Bett zu holen und auf die Beine zu stellen. Er sagte kein Wort.
Nur der mit der Pistole redete.
»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen sich hinsetzen. Tun Sie es nicht, wird mein Freund ihr weh tun. Nehmen Sie die Hände nach vorn und schlagen Sie sich jeden Gedanken aus dem Kopf, hier den Helden zu spielen. Wenn Sie einen von uns angreifen, schieße ich.«
Da ihm das Feldbett zu wackelig erschien, wechselte Ethan auf einen Stuhl, der in der Nähe stand. Dabei war erbemüht, sich die Gesichter der Eindringlinge einzuprägen, vor allem besondere Züge, die für die Erstellung eines Phantombildes wichtig waren.
Der Mann mit der Waffe trug eine schwarze Wollmütze, unter der blondes Haar hervorlugte. Er mochte Mitte dreißig sein, war gut genährt und wirkte ruhig. Er hatte die Züge eines Nordeuropäers, blaue Augen, der Unterkiefer war etwas zurückgesetzt, die Ohren standen überdurchschnittlich ab, und über seine Stirn lief eine lange Narbe fast bis zur Wurzel der spitzen Nase. Während sein Polizistenhirn alle diese Einzelheiten aufnahm, musterte er automatisch die gesamte Erscheinung. Dabei lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter. Er hatte schon viele Mörder verhört und sah auf den ersten Blick, dass der Mann, den er hier vor sich hatte, zu allem imstande war, dass er so bedenkenlos töten konnte, wie ein anderer sich die Nase putzte.
Der zweite Mann musste Osteuropäer sein, wahrscheinlich Russe. Er war viel größer als der erste, ein muskelbepackter Hüne von mindestens 1,90 Metern. Auch er wirkte ruhig und ohne alle Emotionen. Über schweren, runzligen Augenlidern saßen dicke Brauen wie riesige haarige Raupen. Darunter schauten schmale, dunkelgrüne Augen hervor, und weiter unten umrahmten blasse, schmale Lippen kräftige gelbliche Zähne. Der Schöne und das Tier, ging es Ethan durch den Kopf. Wenn der Schöne der Killer war, dann spielte das Tier wohl den Folterknecht, der seine Opfer für den Gnadenstoß vorbereitete.
Der Schöne zischte seinem Begleiter einen Befehl in einer Sprache zu, die für Ethan slawisch klang. Der große Mann nickte, packte Sarah und drehte sie zu sich um. Dann griff er an ihren Kragen und begann ihr die Kleidervom Leib zu reißen. Unter seinen riesigen Händen gab das Gewebe nach wie Papier. Er entblößte sie zunächst bis zur Taille und zog ihr dann auch noch Hose und Unterwäsche herunter.
Ethan wandte den Blick ab, aber das war alles, was er tun konnte, um sich nicht auf die Angreifer zu stürzen.
Der
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