Die zweite Kreuzigung
aber der Staat hat sie unter Kontrolle. Hier in den Wäldern von Transsilvanien kann er seine Verschwörungen aushecken und seine Netze spinnen.«
Ethan stand auf. Er musste seine Beine bewegen und seine Arme etwas lockern. Er war todmüde. Zwar versprach eine Mönchsklause wenig Komfort, aber er wollte sich nur hinlegen, die Augen schließen und in Schlaf versinken.
»Ich begreife immer noch nicht, was Aehrenthal erreichen will, wonach genau er strebt. Offenbar hofft er auf eine Neubelebung des Nazismus und will die Reliquien als Symbole benutzen, um die er seine Anhänger sammelt. Aber weshalb diese Fixierung auf Sarah? Er hat doch jetzt, was er von uns wollte. Warum verschwendet er so viel Zeit auf sie?«
Vater Iustin war ebenfalls aufgestanden und ging zum Kamin, der immer noch ein wenig Wärme abgab.
»Ethan«, sagte er, »ich wollte diese Frage nicht ansprechen, aber ich glaube, ich habe nicht das Recht, Sie darüber im Unklaren zu lassen. Er will Sarah, aber er will auch Sie. Sie haben Kenntnisse, die er nicht besitzt, und er wird vor nichts zurückschrecken, um sie aus Ihnen herauszuholen.«
»Sie meinen, wo Wardabaha liegt?«
»Genau das.«
»Aber er hat doch die Reliquien. Er kann sie benutzen, sie in einem Museum ausstellen und dokumentieren, wie sie gefunden wurden.«
»Er will viel mehr. Wir sind erst vor einem Jahr darauf gekommen und waren uns nicht sicher, bis …« Er verstummte und griff nach einem Feuerhaken, um noch ein paar Flammen aus den verkohlten Scheiten zu holen. »Ehrlich gesagt, bis Sie heute Abend hier ankamen. Bestimmte Gerüchte waren schon bis zu uns gedrungen, aber was Sie und Sarah mir berichtet haben, bringt Klarheit in die Sache.
Bis vor einigen Jahren war Aehrenthal nur an seinem Ordo Novi Templi und den verschiedenen Neonazigruppen interessiert, denen er angehörte oder mit denen er in Kontakt stand. Die heiligen Reliquien wollte er schon lange finden. Deshalb begann er sich überhaupt mit biblischen Altertümern zu befassen. Jedes Mal, wenn ein Gerücht von einem derartigen Objekt an sein Ohr drang, rannte er los. Er hat eine ganze Sammlung von Fälschungen in seinem Schloss dort oben.
Dann hörte er von Ihrem Großvater und dessen Entdeckung. Diese Nachricht muss über Almásys Tegebücher an ihn gelangt sein. Der hatte mehrere Mitglieder der Truppe Ihres Großvaters getroffen, als die sich nach der Entdeckung in Kairo aufhielt. Wenn nicht Krieg gewesen und sie nicht zu neuen Operationen abkommandiert worden wären, dann wäre der eine oder andere wahrscheinlich mit Almásy handelseinig geworden und hätte diesen nach Wardabaha geführt. Sie wären mit ihm dorthin gezogen, und Almásy hätte sich mit den … Reliquien, die Ihr Großvater damals dort zurücklassen musste, einen Namen gemacht. Dann war der Krieg zu Ende, Almásy starb, einigeaus dem Trupp Ihres Großvaters ebenfalls, und die Sache geriet in Vergessenheit.
Ich denke, Wardabaha war für Aehrenthal viele Jahre lang nur ein vager Traum. Schließlich kamen zwei Dinge zusammen: Er fand heraus, wo Ihr Großvater lebte. Und er las etwas über das Klonen von Zellen. Vielleicht war die Reihenfolge auch umgekehrt. Aber lange her ist es noch nicht.«
»Ich verstehe nicht. Das Klonen von Zellen? Meinen Sie dieses Schaf?«
Iustin blickte erschöpft drein. Auch er wäre gern zu Bett gegangen, aber er wusste, dass er in dieser Nacht ohnehin keinen Schlaf finden würde.
»Er will die Gebeine unseres Herrn finden. Er hofft, dass noch Gewebe daran ist. Von dort will er die DNA entnehmen. Daraus möchte er seinen eigenen Christus schaffen, ein Baby, das zu einem Christuskind heranwächst und später zu einem Mann, der Aehrenthals Kreatur ist. Nicht nur körperlich, sondern auch in seinem Denken und Fühlen. Das wäre ein Christus, der die Juden hasst, der die Schwarzen verachtet, der die Überlegenheit der arischen Herrenrasse predigt. Und sein erster Akt bestünde darin, einen zweiten Holocaust zu verkünden.
Seine Gefolgsleute werden sich bereits lange vorher um ihn scharen. Aehrenthal wird sie sammeln, und sie werden weitere werben. Aehrenthal hat jetzt die Reliquien in seiner Hand. Wir müssen sie nicht hier in Rumänien suchen. Er wird sie mit sich nach Libyen nehmen, um sie mit den Gräbern zu vereinigen. Bald besitzt er dann die Gebeine der gesamten Christusfamilie, dazu jene der früheren Weggefährten des Herrn und deren Kinder, außerdem alles, was von deren Besitztümern noch vorhanden ist.
Ein neues
Weitere Kostenlose Bücher