Die zweite Nacht
Öffentlichkeit vorzuzeigen. Sofort musste ich wieder an die Verkäuferin denken, die sich fast den Hals dabei verrenkt hatte, Frederik auch ja ordentlich zu bedienen. Es hatte sie nicht einmal gestört, dass er in weiblicher Begleitung gekommen war. Nicht, dass ich eifersüchtig gewesen wäre, aber ich hatte die Dame doch als sehr unverfroren empfunden.
Irgendwann hatte ich genug. »Dürfen wir vielleicht hereinkommen?«
»Ich wusste es!«, stieß Daniel triumphierend aus. »Du bist doch ein Vampir und musst um Erlaubnis bitten!« Dabei hielt er Frederik die Hand hin und stellte sich vor. Mo kicherte.
Ich erdolchte sie fast mit meinem Blick. »Ich verstehe überhaupt nicht, warum du ihn auch nur im Ansatz lustig findest.«
Daniel trat zur Seite. »Vermutlich, weil ich lustig bin, liebste Schwester.«
Ich begnügte mich damit, eine Grimasse zu schneiden und spähte bereits zur Couch. Nur zu gern würde ich mich hinsetzen.
»Ah, Helen. Da seid ihr ja. Ich muss sagen, dass ich bis zuletzt Angst hatte, dass du kneifen würdest. Hallo, Frederik.« Meine Zwillingsschwester strahlte ihn an, als hätte er soeben Kinder aus einem brennenden Waisenhaus gerettet. Dann stellte sie ihm ihren Mann Stephan vor.
Frederik gab sich entspannt und gut gelaunt, blieb dabei stets an meiner Seite und selbst mir kam es irgendwann so vor, als würde es ihm gar nichts ausmachen, mich begleitet zu haben.
Schließlich war es Mo, die mir das Messer in den Rücken stieß und fragte: »Wie habt ihr euch denn kennengelernt? Du bist doch sonst so menschenscheu, Helen.«
Daniel legte einen Arm um seine Freundin und sagte stolz: »Ist Mo nicht großartig? Sie hat den Satz gebaut, ohne die Worte ›Misanthrop‹ und ›unfreundlich‹ zu benutzen.«
Mein Zähneknirschen war sicherlich noch in der nächsten Stadt zu hören, doch bevor ich antworten konnte, lachte Frederik mit diesem unnachahmlich tiefen Brummen. »Ich schätze, das ist wohl Günthers Schuld.«
Alle Augen richteten sich auf ihn und Stephan fragte verblüfft: »Weiß nur ich nicht, wer Günther ist?«
Frederik grinste und sagte: »Ich wusste auch nicht, wer Günther ist, aber scheinbar kann er Helen um den Finger wickeln.«
Wie beim Tennis schwangen alle Blicke zeitgleich zu mir. »Günther ist mein DHL-Bote.«
Mein Bruder zog eine Augenbraue hoch. »Du hast deinen eigenen Paketboten?«
»Sehr witzig. Günther hat mir ein Paket gebracht und mich gefragt, ob ich eins für Frederik annehmen wollte. Natürlich wollte ich nein sagen, aber er hat so treuherzig geguckt, dass ich nicht anders konnte.«
Tapfer hielt ich dem forschenden Blick meiner Schwester stand. »Wirklich?«, wollte sie wissen.
»Natürlich. Ich bin zwar unfreundlich, aber nicht so herzlos, dass ich das ablehne, wenn der arme Mann schon andauernd die steinschweren Kartons mit meinen Belegexemplaren bis vor meine Tür schleppt. Er ist immerhin schon älter, bestimmt schon sechzig.«
Elena und Daniel grinsten sich an. »Papa wird sich freuen zu hören, dass du das schon für alt hältst«, höhnte mein Bruder.
Frederik legte eine Hand auf meinen Rücken und streichelte mich beruhigend, worauf ich mich tatsächlich ein wenig entspannte. »Jedenfalls bin ich froh, dass Günther sich durchgesetzt hat«, grinste er in die Runde und ich war mir sicher, dass Elena in diesem Moment verträumt seufzte. Eigentlich überraschte es mich, dass ihre Pupillen noch nicht herzförmig waren. Ihre Seele bestand zur Hälfte aus einem ungezogenen, 18-jährigen Partygirl und zur Hälfte aus einer hoffnungslosen Romantikerin im mittleren Alter – keine gute Mischung.
Beruhigt nahm ich zur Kenntnis, dass Frederik ein wahrer Meister des Smalltalks war und verfiel in Schweigen. Das Gespräch bewegte sich weg davon, wie wir uns angeblich kennengelernt hatten und drehte sich nun darum, dass bald Halloween war und ob das ein Grund zum Feiern darstellte.
Als ich in die Küche kam, wäre ich am liebsten wieder rückwärts hinausgegangen. Mo guckte sofort schuldbewusst, während meine Schwester zufrieden die Arme verschränkte. Ich würde um das Verhör ohnehin nicht herumkommen, also sah ich Mo an. »Ihr habt über mich geredet?«
Ihre Wangen färbten sich zartrosa und sie wies stumm auf meine Schwester. Elena grinste mich offen an. Warum dachte nur jeder, dass ich die Schlimmere von uns beiden war? Elena war einfach ein durchtriebenes Luder, das viel besser als ich langweilig und unbedarft aussehen konnte.
»Ich habe nur gerade
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