Die Zwerge
anscheinend ins Nirgendwo. Oder sie führen nach oben, um die Gipfel des Berges zu stützen, dachte Gandogar ehrfürchtig.
Zwischen den Pfeilern spannten sich ornamentreiche Steinbögen, in die Sinnsprüche und Verse aus der Schöpfungsgeschichte des Zwergenvolkes eingraviert waren.
Unmittelbar vor ihnen hatten die Bildhauer ein riesiges steinernes Abbild des Zweiten erschaffen. Ein granitfarbener Beroїn saß auf einem Thron aus weißem Marmor, die Rechte zum Gruß erhoben; die Linke lag auf dem Griff der Axt. Sein Schuh war so hoch wie ein Zwerg und so lang wie fünf Ponys.
Damit nicht genug.
Die Wände, einst nackter, unbehauener Fels, waren glatt abgeschliffen. In die matt glänzende Oberfläche hatten Beroїns Erben weitere Sprüche und Muster gemeißelt. Sie waren so schön und exakt gearbeitet, dass Gandogar unwillkürlich langsamer ging, um sie genauer in Augenschein zu nehmen.
Natürlich schlug auch der Stamm des Vierten Hallen und Säle ins Felsgestein, aber ihre Handwerkskunst hinkte dieser in der Ausführung Meilen hinterher.
Der König streckte die Hand aus und fuhr mit den Fingern ehrfürchtig über den grauschwarzen Marmor. Eine solche Pracht hätte er niemals für möglich gehalten.
»Bei Vraccas!«, entfuhr es ihm voller Anerkennung und Stolz. »Meisterlicher geht es nicht mehr. Ihr seid die besten Steinmetzen unseres Volkes.«
Der Berater des Großkönigs verneigte sich. »Ich danke dir für dein Lob. Gern richte ich es unseren Künstlern aus.«
Ihr Weg verlief zwischen den Füßen des regungslosen Giganten hindurch und führte sie in einen etwas kleineren Gang. Die Luft kühlte nun merklich ab. Es dauerte nicht lange, und sie standen vor der Tür der Ratshalle.
Balendilín lächelte Gandogar zu. »Bist du bereit, deinen Anspruch zu verteidigen?«
»Natürlich ist er das«, antwortet Bislipur scharf, ehe der König das Wort ergreifen konnte.
Balendilín runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Stattdessen öffnete er den Einlass und ging voran, um die lange erwarteten Neuankömmlinge vorzustellen.
Die Halle übertraf alles Gesehene: Runde Säulen ragten in schwindelnde Höhe empor, die Wände zierten in Stein gehauene Kampfszenen aus der Geschichte des Zwergenvolkes, die an glorreiche Siege und Taten der vergangenen Zyklen erinnerten. Kohlebecken und Leuchter spendeten warmes Licht, und eine angenehme Frische entschädigte die Reisenden für die Hitze, die sie in Umilantes Land erduldet hatten.
Während Balendilín sie der Reihe nach vorstellte, warf Gandogar seinem Mentor einen strafenden Blick zu. »Das war unhöflich. Swerd hättest du dafür geprügelt«, maßregelte er ihn leise.
Bislipurs Kiefer mahlten. »Ich werde den Berater um Verzeihung bitten.«
Sie wandten sich der Versammlung zu. Die Plätze für die fünf Stammeskönige waren halbkreisförmig um einen Tisch angeordnet; für die Clananführer standen kunstvoll gemeißelte Steintribünen dahinter zur Verfügung, damit sie die Sitzungen mit verfolgen und ihre Ansichten darlegen konnten.
Ein Stuhl und die Ränge dahinter blieben unbesetzt und erinnerten schmerzlich an die Vernichtung der Fünften. Der Herrscher sowie die Clangesandten des Ersten Stammes fehlten noch, dafür saßen die Zwerge aus den siebzehn Clans des Zweiten auf ihren Plätzen.
Auf dem Tisch lagen verschiedene Karten des Geborgenen Landes ausgebreitet. Vor der Ankunft der Vierten hatten die Zwerge sich über die Vorgänge im Norden ausgetauscht, jetzt wandten sie ihre Aufmerksamkeit Gandogar zu.
Die Aufregung des Königs wuchs. Zum ersten Mal seit mehr als vierhundert Sonnenzyklen versammelten sich die Mächtigsten und Besten aller Stämme; zum ersten Mal sah er so viele entfernte Verwandte und Herrscher von Angesicht zu Angesicht. Namen, die er immer wieder gehört und gelesen hatte, verbanden sich nun mit einem Gesicht, und sein Herz pochte vor Freude.
Die anderen Zwerge erhoben sich, um ihn und seine Gefolgschaft mit einem kräftigen Handschlag zu begrüßen. Gandogar spürte, wie unterschiedlich die Handinnenflächen waren: mal schwielig, mal vernarbt, mal muskulös, dann beinahe schon feingliedrig. Der freudige Empfang rührte ihn, wenngleich er in manchen Augenpaaren Misstrauen und Argwohn ihm gegenüber erkannte.
Dann aber trat er vor Gundrabur Weißhaupt, König der Zweiten und Großkönig, Herrscher über alle Stämme und Clans.
Er riss sich zusammen, um seinen Schrecken zu verbergen.
Der Großkönig musste einst ein stattliches Kind des
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