Die Zwerge
warten. »Sobald sich der Großkönig erholt hat, beraten wir weiter«, verkündete er.
Die Abordnungen der vielen Clans verließen schweigend die Halle. Die Worte ihres Herrschers hatten sie zum Nachdenken gebracht.
Bislipur warf einen abschätzenden Blick auf den keuchenden Gundrabur. »Er wird nicht mehr lange leben«, sagte er im Hinausgehen leise zu seinem Schützling. »Wenn seine Stimme für immer versiegt, wird es dir ein Leichtes sein, die anderen Clans auf deine Seite zu ziehen. Sie wären dir jetzt schon gefolgt.«
Der designierte Thronfolger antwortete ihm nicht.
Das Geborgene Land, das Zauberreich Ionandar im Jahr des 6234sten Sonnenzyklus, Frühling
J olosin rannte durch die Stollen, und Tungdil folgte ihm, so gut es die kurzen Beine ihm erlaubten. Sie kamen an zahlreichen Eichentüren vorüber, hinter denen die Famuli hockten und ihre Lektionen von den fortgeschritteneren Schülern erhielten. Lot-Ionan unterrichtete nur vier der Famuli persönlich; einer von ihnen würde eines Tages seine Schule, seine Stollen und sein Zauberreich übernehmen.
Der Famulus blieb vor dem Laboratorium stehen und riss die Tür auf. Kleine weiße Qualmwolken waberten ihnen nebelgleich entgegen. »Beeil dich gefälligst«, schnauzte er den Zwerg an, der sich dem Eingang näherte.
Tungdil trat laut schnaufend in den Raum, in dem der Rauch dicht wie Nebel hing. »Bleib höflich, Jolosin, sonst kannst du es selbst erledigen«, keuchte er.
»Steig in den Kamin hinauf«, befahl der Famulus und schob den Zwerg unsanft durch das Zimmer. »Etwas hat den Abzug verstopft.« Wie aus dem Nichts tauchte das Loch der Feuerstelle auf; daneben stand ein kleinerer Kübel, aus dem der Dunst aufstieg.
»Und wie wäre es mit einem Zauber, großer Famulus? Du bist doch einer der Besten, oder etwa nicht?«
»In diesem Fall brauche ich dich«, lehnte er kategorisch ab. »Du hast keine Ahnung vom Zaubern, Zwerg. Los, meine Schüler warten, dass sie wieder etwas erkennen.« Tungdil hörte gelegentliches Husten und Räuspern.
»Wie heißt das Zauberwort?«
»Was?«
»Versuche es noch einmal, großer Famulus. Du kennst alle Formeln.«
Jolosin verzog das Gesicht. »Bitte.«
»Und schon wirkt es.« Grinsend nahm der Zwerg den Schürhaken, klemmte ihn in seinen Gürtel und begab sich in den Durchlass, in dem eine schwache Glut leuchtete. Er schaute nach oben, wo der Qualm nach wenigen Schritten dicht wie eine Wand wurde.
Behände machte er sich an den Aufstieg. Seine kräftigen Finger fanden an den hervorstehenden Backsteinstücken spielend Halt, selbst der ölige Ruß bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten. Tungdil kam langsam, aber beständig vorwärts, bis er sich drei Schritte über dem Boden befand, von dem er wegen der dichten Rauchschwaden jedoch nichts sah.
Seine tastenden Finger stießen auf Widerstand. »Es fühlt sich an wie ein Nest, das in den Schacht gefallen ist«, rief er nach unten.
»Dann hole es raus!«
»Was denn sonst? Denkst du, ich will noch eins bauen?« Er stemmte sich gegen die Kaminmauer und rüttelte mit einer Hand an der Vogelbrutstatt, die so gar nicht in den Schlot gehörte.
Das Nest gab nach.
Nun erlebte Tungdil eine böse Überraschung. Eine stinkende Flüssigkeit ergoss sich über ihn; sogleich fingen seine Haut zu jucken und die Augen zu tränen an. Dann rieselten feine Federn auf ihn herab, die ihn an der Nase und im ganzen Gesicht kitzelten. Er musste niesen, rutschte von dem Backstein ab, an dem er sich fest hielt, und stürzte in die Tiefe.
Tungdil schaffte es zwar, sich an den hervorstehenden Mauerenden nicht das Fleisch von den Knochen zu schälen, erhielt aber vom Schornstein ein paar böse Rempler in die Rippen. Sein freier Fall endete mit dem Hinterteil voran in den glühenden Resten des Nests. Aschewolken stoben auf und bedeckten ihn mit einer grauen Schicht. Hastig sprang er auf, um sich vor Brandblasen zu schützen, aber die Glut hatte ihm bereits ein Loch in die Hose gebrannt.
Das vielstimmige Gelächter, das ihm entgegenschallte, zeigte ihm, dass er einem schlechten Scherz aufgesessen war.
Die Nebelwolken hatten sich wie von Zauberhand aus dem Laboratorium verzogen und gaben den zwanzig versammelten Famuli den Blick auf den gedemütigten, völlig verdreckten Zwerg frei. In der ersten Reihe stand natürlich Jolosin, der sich vor lauter Heiterkeit bog und sich schadenfroh auf die Schenkel klopfte.
»Seht nur!«, rief er gespielt ängstlich. »Das schreckliche
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