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Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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geeigneten Bewerber vorzustellen«, las er zufrieden vor.
    Sein Berater überflog die anschließenden Zeilen; aufgeregt spielte er mit einer der Zierspangen in seinem schwarzgrauen Bart. Nirgends stand geschrieben, dass man König sein musste, um an die Spitze der Stämme zu gelangen. »Ein einfacher Zwerg kann von heute auf morgen die Krone tragen, denn alles, was er benötigt, ist die Unterstützung seines Clans und seiner Freunde.«
    Balendilín verstand, was der Großkönig im Sinne hatte. »Wir haben aber keine weiteren Mitstreiter, die Gandogar fordern«, warf er ein. »Die Clans der Vierten sind sich weitgehend einig; es gibt nur wenige, die an ihrem König zweifeln, und …« Das Leuchten auf dem runzligen Gesicht seines Herrn verunsicherte ihn. »Wir haben doch einen Bewerber?«, fragte er vorsichtig.
    »Noch nicht«, entgegnete Gundrabur mit einem verschlagenen Lächeln. Er hatte sich rechzeitig an den Brief erinnert, der ihn vor einigen Umläufen erreicht hatte. »Noch nicht. Aber bald. Mir ist soeben einer eingefallen.«
     
     
    Das Geborgene Land, das Zauberreich Ionandar
im Jahr des 6234sten Sonnenzyklus, Frühling
     
    D ie Flammen der beinahe vollständig herabgebrannten Kerzen auf dem eichenen Arbeitstisch Lot-Ionans flackerten. Die Wachsstummel waren ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Magus lange Stunden in seinem Studierzimmer verbracht hatte, wenngleich sie ihm wie wenige Augenblicke erschienen.
    Ächzend beugte er sich vor, um das Pergament mit den vielen Runen zu betrachten. Tage, Nächte, Zyklen hatte er an der Zauberformel gearbeitet. Nur noch ein letztes Zeichen fehlte, um sie zu vervollständigen.
    Er lächelte. Der gewöhnliche Sterbliche, der selten mit Kräften dieser Art zu tun hatte, hegte Scheu vor allem, was mit Zauberei zu tun hatte. Für die schlichten Gemüter war es nicht einfach, die Verflechtungen der Elemente zu verstehen. Ein Bauer sprach ängstlich von »Wunder« und »Hexerei«, für Lot-Ionan war es das Ergebnis einer Abfolge von komplizierten Gesten und Worten.
    Und genau um diesen Ablauf ging es. Mit ihm stand und fiel alles. Eine falsche Silbe, eine undeutliche Betonung, eine abweichende Geste mit der Hand oder eine zu schnelle Bewegung mit dem Zauberstab, ja, selbst nicht korrekt gezeichnete Zauberkreise bedeuteten das Ende eines Spruches und lösten im ungünstigsten Fall gar eine Katastrophe aus.
    Er kannte Beispiele, bei denen unvorsichtige Schüler schwerste Verletzungen erlitten oder albtraumhafte Kreaturen beschworen hatten, ohne es zu beabsichtigen. Dann riefen sie stets kleinlaut nach ihm, auf dass er den Schaden begrenze.
    Lot-Ionan war geduldig mit ihnen, schließlich hatte er vor zweihundertsiebenundachtzig Zyklen genau wie sie begonnen. Jetzt trug er den Titel Magus, was die Menschen als Meistermagier übersetzten.
    Zweihundertsiebenundachtzig Zyklen. Seine Hand mit den vielen Altersflecken verharrte mitten in der Bewegung; die wachen hellblauen Augen suchten in dem Gewirr aus Schränken, Regalen und Bücherborden nach einem Spiegel und fanden die reflektierende Oberfläche einer Vase.
    Er musterte seine faltigen Züge, die grauweißen Haare, den grauen Bart, in dem unzählige Tintenflecke zu sehen waren. Ich bin alt geworden. Wurde ich auch weiser?, fragte er sich.
    Das hellbeige Gewand wies unzählige Flicken auf, aber er mochte sich von dem bequemen Stück nicht trennen. Im Gegensatz zu manchen seiner Zunftbrüder und -Schwestern achtete er nicht sonderlich auf sein Äußeres. Der einzige Anspruch, den er an seine Garderobe stellte, war die Gemütlichkeit.
    In einem stimmte der alte Gelehrte mit dem gemeinen Volk überein: Magie war überaus gefährlich. Das war der Grund, warum er sich in Stollen zurückzog: Wenn ihm wirklich ein Versuch misslang, so schadete er keinem seiner Untertanen.
    Doch der Magus tauchte nicht nur aus uneigennützigen Gründen ab. Unter der Erde hatte er vor den Menschen und deren alltäglichen Sorgen seine Ruhe; er überließ es ausgesuchten Stellvertretern, den so genannten Magistern, die Angelegenheiten und Streitigkeiten im Herrschaftsgebiet zu regeln.
    Sein Reich Ionandar nahm Teile von Gauragar und Idoslân in Beschlag, dort, wo das südöstliche der insgesamt sechs Magiefelder lag. Die allerersten Zauberer hatten die Kraft in der Erde bemerkt, die sich in gewissem Maß auf sie hatte übertragen lassen. War das Gespeicherte aufgebraucht gewesen, hatten sie sich durch die Felder mit neuer Energie aufgeladen. Sie hatten

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