Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zwerge

Die Zwerge

Titel: Die Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
Vom Netzwerk:
doch das Fehlen einer pflegenden Hand sorgte dafür, dass er verwildert war. Das benötigte Licht fiel über Spiegel herein und brachte die Pflanzen trotz der Kühle zum Wachsen. Der Regen, der durch Kanäle im Stein von oben durchsickerte, bewässerte sie; vereinzelt tropfte Wasser von der Decke.
    Tungdil ging weiter, bahnte sich einen Weg durch das wuchernde Grün, folgte dem Gang und fand sich in einem Studierzimmer wieder. Der Anblick war ihm wohl vertraut: lose Pergamente und voll gekritzelte Papyri, aufgeschlagene Bücher, die auf den Tischen und auf dem Boden übereinander lagen …
    »Ein Teil seiner Aufzeichnungen?«, wunderte er sich laut. Das würden andere schon als Bibliothek bezeichnen. Zögerlich machte er sich an die Arbeit, nach einem Hinweis auf den Verbleib Goréns zu suchen.
    Die meisten verstaubten Werke, in denen er herumblätterte, verstand er nicht. Sie waren in der Gelehrtensprache der Zauberer verfasst, die nur hochgradige Famuli und Magi beherrschten. Reichtum? Langes Leben? Ewige Gesundheit? Woran mag er geforscht haben? Doch das konnte ihm gleichgültig sein, seine Aufgabe bestand darin, den Sack mit den Artefakten endlich an den richtigen Mann zu bringen.
    Hinter einem Schrank fand er einen Packen Briefe. Darin tauschte sich Gorén mit zwei anderen Gelehrten über Besessenheit aus: welche Formen es davon gab, welche bekannt und welche aufgetaucht waren und ob es möglich sei, durch einen Geist beherrscht zu werden.
    Einer der Gelehrten musste ein hochgradiger Magus sein, denn Tungdil konnte nichts davon lesen. Der andere schrieb wie ein Famulus ersten Grades und beschrieb Veränderungen eines Mannes, äußerlich und charakterlich. Aber einen Hinweis auf den Verbleib Goréns entdeckte er nicht.
    Der Zwerg durchforstete weitere, angrenzende Zimmer, betrat kleinere Laboratorien, zum Teil geleerte Bibliotheken, Lagerräume für Zauberspruchzutaten, und entfernte sich dabei immer weiter vom Mittelpunkt des Tafelberges.
    Dabei überdachte er seine Lage. Gorén war ganz offensichtlich nicht mehr hier; gleichzeitig hatte er Lot-Ionan hoch und heilig versprochen, die Dinge abzuliefern. Das bedeutete, dass er nicht eher nach Hause zurückkehren würde, bis er seinen Auftrag erfüllt hätte. Auf den Schwur eines Zwerges war Verlass. Und Jolosin wird noch länger Kartoffeln schälen müssen. Auch nicht schlecht.
    Plötzlich stieß Tungdil auf Inschriften, die eindeutig zwergischen Ursprungs waren. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Hasstiraden, abgründige Feindschaften standen vor ihm für die Ewigkeit in Fels graviert. Wer immer den Meißel geführt hatte, hatte eine inbrünstige Verachtung und die schrecklichsten Todeswünsche gegen vier Stämme und all ihre Clans in die Schriftzeichen gelegt.
    Das bedeutete ganz sicher eines. Diese Festung gehörte einmal dem Stamm Lorimbur! In Gauragar, im Menschenland, stolperte er also über ein Kapitel in der Geschichte seines Volkes, das in den herkömmlichen Aufzeichnungen verborgen blieb.
    Geschaffen gegen die Vier, gefallen gegen die Vier, erinnerte er sich an die Worte im Fels. Das mochte heißen, dass die Dritten eine Befestigung mitten im Geborgenen Land geschaffen hatten. Um was zu tun? Um von hier aus die anderen Kinder des Schmiedes anzugreifen? Offensichtlich hatten sie eine Niederlage gegen ihre Verwandten erlitten, wenn er den Spruch treffend auslegte. Verflucht von den Vier, verlassen von allen Fünf. Anscheinend sollte eine Verwünschung verhindern, dass das Schwarzjoch jemals wieder bewohnt wurde.
    Der Zwerg glaubte zu ahnen, was geschehen war. Gorén hatte durch einen glücklichen Zufall von den Tunneln und Räumen des Berges erfahren und beschlossen, sich sein eigenes Refugium zu schaffen. Sein Können hatte ausgereicht, um den Zwergenfluch zu verstehen und zu brechen, und er hatte sich hier eingenistet. Die Verse Erbaut mit Blut, gefärbt vom Blut hatten ihn wohl nicht weiter gestört.
    Unvermittelt hörte Tungdil ein Flüstern, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Die Wände sprachen zu ihm, Geister schienen ihn zu umkreisen und auf ihn einzuwispern.
    Es ist nur meine Einbildung, sagte er sich.
    Sie ließen ihn das Krachen der Äxte, das Klirren der Kettenhemden und das Schreien der Kämpfer hören. Die Geräusche schwollen an, das Getöse wurde lauter, die Rufe der Verletzten und Sterbenden unerträglich.
    »Nein!«, rief Tungdil und presste die Hände auf die Ohren. »Lasst mich!« Doch die Illusion endete nicht, sondern wurde

Weitere Kostenlose Bücher