Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Feldzügen war, ein Mann, über den man sich Geschichten erzählte, hatte er manchmal das Gefühl, sein Leben habe aufgehört.
Er wartete auf Befehle. Er wartete auf das Essenfassen. Er wartete vor der Latrine. Er wartete auf besseres Wetter, und wenn es nicht kam, wartete er noch ein bisschen. Werkzeug, Waffen, Proviant, Neuigkeiten– lauter Dinge, auf die er wartete. Tage-, wochen-, manchmal monatelang wartete er, als sei seine Zeit auf Erden dem Warten geweiht. Als sei er eine mannshohe Wartemaschine.
Jetzt wartete er auch.
Etwas Wichtiges war im Kommandozelt im Gange, daran hatte er keinen Zweifel. Den ganzen Morgen waren Apgar und die anderen dort drinnen verschwunden gewesen. Allmählich befürchtete Peter das Schlimmste. Seit Monaten hörten sie die Gerüchte wie einen grollenden Donner in den Bergen dort oben: Wenn die Einsatztruppe nicht bald einen erlegte, würde man die Jagd abblasen.
Fünf Jahre seit seinem Ritt auf den Berg mit Amy. Fünf Jahre seit der Jagd auf die Zwölf. Fünf Jahre ohne Erfolg.
Houston, die Heimatstadt Anthony Carters, des Probanden Nr.12, wäre der naheliegende Ausgangspunkt gewesen, wenn der Ort kein undurchdringlicher Sumpf gewesen wäre. Das galt auch für New Orleans, Heimatstadt des Probanden Nr. 5, Thaddeus Turrell. Tulsa, Oklahoma, woher Rupert Sosa stammte, war eine reine Katastrophe gewesen; die Stadt war eine riesige Ruinenlandschaft, überall waren Dracs, und sie hatten sechzehn Mann verloren, bevor sie sich zurückgezogen hatten.
Es gab noch andere. Jefferson City, Missouri. Oglala, South Dakota. Everett, Washington. Bloomington, Minnesota. Orlando, Florida. Black Creek, Kentucky. Niagara Falls, New York. Weit weg und unerreichbar allesamt, viele Meilen und zu Fuß Jahre weit entfernt. Innen am Deckel seiner Kiste hatte Peter eine Landkarte, und jede dieser Städte war mit einem Tintenkreis markiert. Die Orte, wo die Zwölf herkamen. Tötete man einen von ihnen, tötete man seine Abkömmlinge, und man befreite ihren Geist für die Reise in den Tod. Das hatte Lacey ihm erklärt, als sie die Bombe zündete, die Babcock getötet hatte, den Probanden Nummer 1. Amy hatte ihm erklärt, wer diese Kreaturen einst waren. Sie war mit ihm aus Laceys Hütte auf das verschneite Feld hinausgetreten, wo die Vielen in der Sonne lagen und starben.
Du bist Smith, du bist Tate, du bist Dupree, du bist Erie Ramos Ward Cho Singh Atkinson Johnson Montefusco Cohen Murrey Ngyuen Elberson Lazaro Torres …
Damals waren sie zehn Leute gewesen. Jetzt waren sie sechs. Peters Bruder war nicht mehr dabei, und Maus und Sara auch nicht. Von den fünfen, die sich auf den Weg zur Garnison Roswell gemacht hatten, hatten nur Hollis und Caleb überlebt– » Baby Caleb«, obwohl er eigentlich kein Baby mehr war. Jetzt war er im Waisenhaus in Kerrville, wo die Schwestern ihn großzogen. Als die Virals die Sicherungsanlagen von Kerrville durchbrochen hatten, war Hollis mit Caleb in eine der Hardboxen gerannt. Theo und Maus waren schon tot. Niemand wusste, was aus Sara geworden war; sie war im Getümmel verschwunden. Als alles vorbei war, hatte Hollis nach ihrer Leiche gesucht, jedoch nichts gefunden. Die einzige Erklärung war, dass sie befallen worden war.
Die Jahre hatten die andern zerstreut wie der Wind. Michael arbeitete in der Raffinerie in Freeport als Ölhand erster Klasse. Greer, der in Colorado zu ihnen gestoßen war, saß im Gefängnis. Er war wegen Verlassens seines Kommandopostens zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Niemand wusste, wo Hollis war. Der Mann, den sie gekannt und geliebt hatten wie einen Bruder, war unter der Last von Saras Tod zerbrochen, und sein Schmerz hatte ihn in den dunklen Bauch der Stadt getrieben, in die Welt des Gewerbes. Peter hatte gehört, er sei dort aus dem Fußvolk zu einem von Tiftys Stellvertretern aufgestiegen. Von der ursprünglichen Gruppe waren nur noch Peter und Alicia bei der Jagd dabei.
Und Amy. Was war mit Amy?
Peter dachte oft an sie. Sie sah mehr oder weniger aus wie immer– wie ein Mädchen von vierzehn Jahren, nicht wie die Hundertdreijährige, die sie tatsächlich war–, aber seit ihrer ersten Begegnung hatte sich vieles verändert. Das Mädchen von Nirgendwo, das nur in Rätseln sprach, wenn es überhaupt etwas sagte, gab es nicht mehr. Die Person an ihrer Stelle war viel präsenter, viel menschlicher. Sie sprach oft von ihrer Vergangenheit, nicht nur von ihren einsamen Wanderjahren, sondern auch von ihren frühesten Erinnerungen an
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