Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
die Zeit Davor: an ihre Mutter und an Lacey, an ein Sommercamp in den Bergen und an den Mann, der sie gerettet hatte. Brad Wolgast. Nicht ihr richtiger Vater, sagte Amy; wer das war, hatte sie nie erfahren. Aber trotzdem so etwas wie ein Vater. Wenn sie von ihm sprach, trat Trauer in ihren Blick. Peter brauchte nicht erst danach zu fragen; ihm war auch so klar, dass der Mann gestorben war, um sie zu beschützen, und dass dies eine Schuld war, die sie nie zurückzahlen konnte, selbst wenn sie ihr ganzes Leben– diese endlose, unabsehbare Spanne– darauf verwandte, es zu versuchen.
Sie war jetzt mit Caleb bei den Schwestern, nachdem sie die graue Kutte des Ordens angelegt hatte. Peter glaubte nicht, dass Amy ihren Glauben angenommen hatte; die Schwestern waren eine düstere Bande und bekannten sich zu einer philosophischen und körperlichen Keuschheit, in der sich ihre Überzeugung widerspiegelte, dass dies die letzten Tage der Menschheit seien. Für Amy war es eine mehr als praktische Tarnung, und es fiel ihr nicht schwer, sich als eine der Schwestern auszugeben. Aufgrund dessen, was in der Kolonie passiert war, waren sie alle übereingekommen, dass Amys wahre Identität und die Macht, die sie in sich trug, niemandem unterhalb der Führungsebene bekannt sein sollte.
Peter ging in die Messe und verbrachte dort eine inhaltsleere Stunde. Sein Zug, vierundzwanzig Mann, war eben von einer Erkundungsmission nach Lubbock zurückgekehrt, wo sie nach Brauchbarem gestöbert hatten. Das Glück war auf ihrer Seite gewesen, und sie hatten den Einsatz ohne Zwischenfälle beendet. Die kostbarste Entdeckung war ein Schrottplatz mit alten Autoreifen gewesen. In ein, zwei Tagen würden sie mit einem Lastwagen hinauffahren und möglichst viele davon nach Kerrville schaffen.
Die Führungsoffiziere waren jetzt seit Stunden in dem Zelt. Worüber konnten sie nur reden?
Seine Gedanken wanderten zurück zur Kolonie. Seltsam, manchmal dachte er wochen- oder sogar monatelang überhaupt nicht daran, und dann rauschten die Erinnerungen ganz unverhofft in seinen Kopf. Was damals dort passiert war, kam ihm jetzt vor, als habe es jemand anders erlebt– nicht Lieutenant Peter Jaxon, Expeditionsbataillon, und auch nicht Peter Jaxon, Vollwache, sondern eine Art Mann-Junge, dessen Vorstellungskraft sich auf das winzige Areal beschränkte, auf dem er sein ganzes Leben verbracht hatte. Wie viel Energie hatte er darauf verwandt, seine eigenen Minderwertigkeitsgefühle zu hegen, die sich in der kleinkarierten Rivalität zu seinem Bruder Theo manifestierten? Mit wehmütigem Stolz dachte er an das, was sein Vater, der Große Demetrius Jaxon, Oberhaupt des Haushalts und Captain der Langen Ritte, heute zu ihm sagen würde. Du hast deine Sache gut gemacht. Du hast den Kampf angenommen. Ich bin stolz, dich meinen Sohn nennen zu können. Aber Peter hätte gerne auf all das verzichtet, wenn er dafür wieder eine Stunde mit Theo hätte zusammen sein können.
Und immer wenn er Caleb anschaute, sah er seinen Bruder.
Satch Dodd kam zu ihm an den Tisch. Satch, ein Unteroffizier wie Peter, war ein Säugling gewesen, der jüngste Überlebende, als seine Familie im Massaker auf dem Feld gestorben war. Soweit Peter wusste, erwähnte Satch es nie, aber die Geschichte war wohlbekannt.
» Irgendeine Ahnung, um was es da geht?«, fragte Satch. Sein rundes Jungengesicht sah immer sehr ernsthaft aus.
Peter schüttelte den Kopf.
» Guter Fang, da oben in Lubbock.«
» Sind nur Reifen.«
Beide waren mit ihren Gedanken woanders; sie redeten nur, damit etwas gesagt war. » Reifen sind Reifen. Ohne kommen wir nicht weit.«
Satch und sein Trupp würden am nächsten Morgen auf einen Säuberungseinsatz gehen, hundert Meilen weit in Richtung Midland. Eine üble Mission: Die Gegend war ein Morast von Öl aus alten Quellen, die nie verschlossen worden waren.
» Ich sag dir, was ich gehört habe«, sagte Satch. » Die Zivilbehörde prüft, ob ein paar von diesen alten Quellen noch genutzt werden können– für den Fall, dass der Brennstoff knapp wird. Könnte sein, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft plötzlich da unten stationiert sind.«
Peter war verblüfft. An diese Möglichkeit hatte er nie gedacht. » Ich dachte, in Freeport ist genug Öl für die Ewigkeit.«
» Es gibt solche und solche Ewigkeiten. Theoretisch, ja, theoretisch ist dort reichlich Ölschlick. Aber früher oder später geht alles mal zu Ende.« Satch sah ihn an. » Hast du nicht einen Freund, der
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