Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
sich in einer Dunkelheit aufgelöst, in der nur sie beide existierten wie zwei Schauspieler im Scheinwerferlicht auf einer Bühne.
Etwas verändert sich.
– Ja. Das glaube ich auch.
Du wirst zu ihm gehen müssen, Amy.
– Zu wem? Zu wem soll ich gehen?
Er ist anders als die anderen. Das habe ich gesehen, als ich ihn das erste Mal zu Gesicht bekam. Ein Glas Eistee. Das war alles, was er wollte, um sich in der Hitze abzukühlen. Er hat diese Frau von ganzem Herzen geliebt, aber das weißt du, nicht wahr, Amy?
– Ja.
Unendlich viel Zeit, habe ich zu ihm gesagt. Zeit kann ich dir geben, Anthony, alle Zeit der Welt. Plötzlich war sein Gesicht bitter. Ich habe Texas immer gehasst, weißt du.
Er hatte sie noch nicht angesehen. Amy spürte, dass es nicht nötig, ja, nicht einmal richtig war.
Ich musste gerade an das Camp denken. Wie wir beide dort zusammen gelesen und Monopoly gespielt haben. Park Place, Boardwalk, Marvin Gardens. Kennst du die Straßen noch? Du hast mich immer geschlagen.
– Ich glaube, du hast mich gewinnen lassen.
Er lachte leise. Nein, das hast du immer allein geschafft. Ganz fair. Und Jacob Marley. »Ein Weihnachtsmärchen«, das war dein Lieblingsbuch. Ich glaube, du konntest es von vorn bis hinten auswendig. Erinnerst du dich noch?
– Ich erinnere mich an alles. An den Tag, als es geschneit hat. Als wir Schnee-Engel gemacht haben.
Er trug die Ketten, die er im Leben geschmiedet hatte. Wolgast runzelte in plötzlicher Ratlosigkeit die Stirn. Es war eine so traurige Geschichte.
Hier war der Fluss, dachte Amy. Der mächtig strömende Fluss der Vergangenheit.
Ich hätte immer so weitermachen können. Wolgast richtete den Blick nach oben und sprach in die Dunkelheit. Siehst du das nicht, Lila? Das war es, was ich wollte. Es war alles, was ich jemals wollte. Und dann: Weißt du … wo du hier bist, Amy?
– Ich glaube nicht, dass ich irgendwo bin. Ich glaube, ich schlafe.
Er dachte über ihre Worte nach und nickte leise. Ja. Stimmt. Jetzt, wo du es sagst, leuchtet es mir ein. Er atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. Es ist seltsam. Es gibt so vieles, an das ich mich nicht erinnern kann. So ist das, weißt du. Als gäbe es da nur ein kleines Stück deiner selbst, das du behalten darfst. Aber allmählich wird alles klarer.
– Du fehlst mir, Daddy.
Das weiß ich. Du fehlst mir auch, mein Herz – mehr als du je ahnen wirst. Ich glaube nicht, dass ich jemals glücklicher war als mit dir. Ich wünschte, ich hätte dich retten können, Amy.
– Aber das hast du getan. Du hast mich gerettet.
Du warst nur ein kleines Mädchen, ganz allein auf der Welt. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass sie dich holten. Ich habe mich bemüht, aber nicht genug. Das ist die eigentliche Prüfung, weißt du. Das ist der wahre Maßstab für das Leben eines Mannes. Ich hatte immer zu viel Angst. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.
Eine Welle der Trauer brach sich in ihr. Wie sehnte sie sich danach, ihn zu trösten, ihn in die Arme zu schließen. Doch sie wusste, wenn sie das versuchte, wenn sie auch nur einen Schritt näher heranrückte, würde der Traum sich auflösen, und sie wäre wieder allein.
– Natürlich verzeihe ich dir. Obwohl es gar nichts zu verzeihen gibt.
Es gibt so vieles, was ich dir nicht erzählt habe. Er starrte eindringlich auf seine Hände. Über Lila und über Eva. Unser eigenes kleines Mädchen. Du warst ihr so ähnlich.
– Das brauchtest du nicht, Daddy. Ich wusste es, ich wusste es. Ich habe es immer gewusst.
Du hast mein Herz erfüllt, Amy. Das hast du für mich getan. Du hast den Platz ausgefüllt, den Eva bis dahin besetzt hatte. Aber ich konnte dich genauso wenig retten wie sie.
Als hätten seine Worte magische Kraft, begann das Bild des Zimmers zurückzuweichen, und der Raum zwischen ihnen dehnte sich lang wie ein Korridor. Jähe Verzweiflung erfasste sie.
Es tut gut, mich mit dir an diese Dinge zu erinnern, Amy. Ich glaube, wenn es dir recht ist, bleibe ich noch eine Weile hier.
Er verließ sie, wich immer weiter zurück.
– Daddy, bitte. Lass mich nicht allein. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Endlich wandte er ihr das Gesicht zu, und seine Augen fanden sie. Hell glänzend durchdrangen sie ihr Herz.
Oh, ich glaube nicht, dass ich dich je alleinlassen werde, Amy.
25
Camp Vorhees, West Texas Westliches Hauptquartier der Expeditionsstreitkräfte
Obwohl Lieutenant Peter Jaxon ein dekorierter Offizier und Veteran aus drei verschiedenen
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