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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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wandte seinen ganzen Willen auf, um ihnen zu trotzen, aber er gab immer wieder nach. Der Hunger schwang sich in ihm herauf wie ein großer schwarzer Vogel.
    – Sag es für Mama. Sag, ich bin ein Baby, das sein Fläschchen braucht, und ich will auch immer brav sein. Sei ein braves Baby, Grey.
    Die Spitze der Pipette schwang verlockend an seiner Nase vorbei, und der Duft des Blutes explodierte wie eine Bombe in seinem Hirn. Millionen Neuronen feuerten in einem elektrischen Sturm des reinsten Verlangens.
    – Das hier wird dir gefallen. Ein ausgezeichneter Jahrgang. Du magst doch die Jungen, nicht wahr, Grey?
    Tränen pressten sich aus seinen Augen. Tränen des Verlangens und des Abscheus. Tränen über ein viel zu langes Leben, ein ganzes Jahrhundert, das er nackt in Ketten verbracht hatte. Tränen, weil er dieses Dasein fristen musste.
    – Bitte.
    – Sag es. Ich mag die Jungen.
    – Ich bitte dich. Zwing mich nicht.
    – Die Worte, Grey. – Ein Schwall von saurem Atem dicht an seinem Ohr. – Ich will… es… noch einmal… hören.
    – Ja! Ja, ich mag die Jungen! Bitte! Nur einen Schluck! Ein bisschen!
    Und dann endlich kam die Pipette. Ein köstlicher, erdig-fetter Spritzer auf seiner Zunge. Er schmatzte mit den Lippen. Er rollte den dicken Muskel seiner Zunge in der Mundhöhle hin und her, saugte wie das Baby, als das sie ihn verspotteten, und wünschte, er könnte ewig davon trinken. Aber das konnte er nie: Sein Kehlkopf hüpfte unwillkürlich, und es war weg.
    – Mehr, mehr.
    – Aber Grey. Du weißt, dass es mehr nicht gibt. Am Tag ein Pipettchen, und du bleibst im Bettchen. Gerade nur so viel, dass du immer weiter liefern kannst den guten Viralstoff.
    – Nur noch einmal kosten, mehr nicht. Ich verspreche, ich verrate es niemandem.
    Ein dunkles Kichern.– Und wenn ich es täte? Angenommen ich gäbe dir noch ein Pipettchen? Was würdest du dann tun?
    – Gar nichts, ich schwöre. Ich will nur…
    – Ich sage dir, was du willst. Du, mein Freund, willst diese Ketten aus dem Boden reißen. Ich muss gestehen, ziemlich genau das würde ich in deiner Lage auch wollen. Genau daran würde ich denken, die ganze Zeit. Ich würde sie umbringen wollen, die Männer, die mich hierhergebracht haben… – Nach einer kurzen Pause kam die Stimme näher. – Ist es das, was du willst, Grey? Uns alle umbringen?
    Ja, das wollte er. Er wollte sie zerreißen, Glied für Glied. Er wollte ihr Blut fließen lassen wie Wasser, und er lechzte danach, ihre Todesschreie zu hören. Das wünschte er sich mehr als seinen eigenen Tod, ein bisschen mehr jedenfalls. Lila, dachte er, Lila, ich kann dich fühlen, ich weiß, du bist in der Nähe. Lila, ich würde dich retten, wenn ich könnte.
    –Bis morgen, Grey.
    Und so weiter und so weiter. Die Beutel kamen leer herein und wurden voll wieder abgeholt. Es war sein Blut, das sie ernährte, die Männer mit den glühenden Augen. Sie nährten sich von Greys Blut und lebten ewig, wie er ewig lebte, der ewige Grey, in Ketten.
    Manchmal fragte er sich, woher das Blut kam, das sie ihm gaben. Aber nicht oft. Über so etwas wollte er nicht gern nachdenken.
    Gelegentlich hörte er immer noch Zero, aber es hörte sich nicht so an, als ob Zero noch mit ihm redete. Dieser Teil der Abmachung schien schon vor langer Zeit ausgelaufen zu sein. Die Stimme klang gedämpft und weit entfernt, als belausche Grey ein Gespräch, das auf der anderen Seite einer Wand stattfand. Alles in allem betrachtet war es ein kleines Glück, für sich allein zu sein und nur die eigenen Gedanken als Gesellschaft zu haben, ohne dass Zero ihm den Kopf zudröhnte mit seinem ewigen Quak-quak-quak.
    Guilder war der Einzige, der sein Blut direkt von der Quelle bezog. So nannten sie Grey. Die Quelle, als wäre er keine Person, sondern ein Ding, und vermutlich war er das ja auch. Nicht immer, aber manchmal, wenn er besonders hungrig war oder aus Gründen, die Grey sich nicht vorstellen konnte, erschien Guilder in Unterwäsche in seiner Tür, damit er kein Blut auf seinen Anzug bekam. Dann löste er den Beutel vom Schlauch, und die sämige Flüssigkeit bespritzte ihn, wenn er den Schlauch in den Mund steckte und Greys Blut saugte, wie ein Kind seine Limonade durch einen Strohhalm trank. Lawrence, sagte er dann gern, du siehst nicht so toll aus. Geben sie dir auch genug zu essen? Ich mache mir Sorgen um dich, so ganz allein hier unten. Einmal, das war lange her, Jahre oder vielleicht Jahrzehnte, hatte Guilder einen Spiegel mitgebracht,

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