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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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in einer Dose, in der die Ladys früher ihren Puder gehabt hatten. Guilder hatte den Deckel aufgeklappt und schräg vor Greys Gesicht gehalten. Willst du nicht mal schauen? Das Gesicht eines alten Mannes hatte ihn angestarrt, runzlig wie eine Dörrpflaume– das Gesicht eines Mannes, der auf dem Zaun des Todes saß.
    Er lag permanent im Sterben.
    Und dann, eines Tages, wachte er auf und sah Guilder, der rittlings auf einem Stuhl saß und ihn anschaute. Seine Krawatte hing lose um den Hals, die Haare standen ihm zu Berge, und sein Anzug war zerknautscht und fleckig. Grey sah, dass er kurz vor dem Ende seines Zyklus war. Er roch die Fäulnis, die der Mann ausdünstete– ein leichenhafter, leicht fruchtiger Mülltonnengestank–, aber Guilder machte keine Anstalten, sich Greys Blut einzuverleiben. Grey hatte das Gefühl, dass der Mann schon eine ganze Weile dasaß.
    » Ich möchte dich etwas fragen, Lawrence.«
    Er würde seine Frage so oder so stellen. » Okay.«
    » Hast du je… ja, wie soll ich sagen?« Guilder zuckte unbestimmt die Achseln. » Warst du je verliebt?«
    Aus dem Mund dieses Mannes klang das Wort völlig fremdartig. Liebe gehörte zu einem anderen Zeitalter; sie war komplett prähistorisch.
    » Ich weiß nicht, was Sie da wissen wollen.«
    Ein Stirnrunzeln zerfurchte Guilders Gesicht. » Also wirklich, ich finde, das ist eine absolut simple Frage. Engelschöre, die im Himmel singen, deine Füße eine Handbreit über dem Erdboden. Du weißt schon. Verliebt.«
    » Ich glaube nicht.«
    » Da gibt es nur ja oder nein, Lawrence. Entweder das eine oder das andere.«
    Er dachte an Lila. Liebe war das, was er für sie empfand, aber nicht so, wie Guilder es meinte. » Nein. Ich war nie verliebt.«
    Guilder schaute jetzt an ihm vorbei. » Tja, ich war es mal. Einmal. Sie hieß Shawna. Aber das war natürlich nicht ihr richtiger Name. Sie hatte eine Haut wie Butter, Lawrence. Das meine ich völlig ernst. So schmeckte sie. Ihre Augen hatten etwas leicht Asiatisches– du kennst diesen Blick? Und ihr Körper… na ja.« Er rieb sich das Gesicht und tat einen melancholischen Seufzer. » Den Teil spüre ich nicht mehr. Den Teil mit dem Sex. Den legt das Virus weitgehend still. Nelson meinte, das könnte etwas mit den Steroiden zu tun haben, die du bekommen hast. Vielleicht waren sie der Grund, weshalb das Virus bei dir anders gewirkt hat. Könnte was Wahres dran sein. Aber wie man sich bettet, so liegt man.« Er gluckste ironisch. » Sich betten. Komisch. Zum Brüllen.«
    Grey sagte nichts. Die Stimmung, in der Guilder da war, schien mit ihm nichts zu tun zu haben.
    » Ich nehme an, im Großen und Ganzen ist es nicht so schlimm. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass der Sex mir je etwas gebracht hat. Aber nach all den Jahren denke ich trotzdem immer noch an sie. Kleinigkeiten. Was sie gesagt hat. Wie es aussah, wenn die Sonne auf ihr Bett schien. Irgendwie vermisse ich die Sonne.« Er schwieg. » Ich weiß, sie hat mich nicht geliebt. War alles nur ein großes Theater, mehr nicht. Das wusste ich von Anfang an, auch we nn ich es mir nicht eingestehen wollte. Aber so ist es nun mal.«
    Grey war völlig verwirrt. » Warum erzählen Sie mir das?«
    » Warum?« Guilder sah ihm mit schmalen Augen ins Gesicht. » Das sollte doch auf der Hand liegen. Du kannst ziemlich vernagelt sein, wenn ich das sagen darf. Weil wir Freunde sind, Lawrence. Ich weiß schon, du findest wahrscheinlich, ich bin das Schlimmste, was dir je passiert ist. Es sieht sicher so aus. Und man kann es dir im Grunde nicht verdenken. Aber du hast mir wirklich keine Wahl gelassen. Soll ich ehrlich sein, Lawrence? So seltsam es klingt: Du bist der älteste Freund, den ich habe.«
    Wieder hielt Grey den Mund. Der Mann war völlig wahnsinnig. Er merkte, dass er sich unwillkürlich gegen seine Ketten stemmte. Das größte Glück seines Lebens– vom Sterben abgesehen– wäre es, Guilder den Kopf glatt von den Schultern zu reißen.
    » Was ist denn mit Lila? Ich möchte nicht neugierig sein, aber ich habe immer gedacht, da ist was zwischen euch beiden. Was ziemlich überraschend ist, angesichts deiner Vergangenheit.«
    Etwas ballte sich in ihm zusammen. Er wollte darüber nicht reden, nicht jetzt, niemals. » Lassen Sie mich in Ruhe.«
    » Sei nicht so. Ich frage doch nur.«
    » Warum lecken Sie mich nicht am Arsch?«
    Guilder schob das Gesicht ein Stückchen näher heran und senkte vertraulich die Stimme. » Verrate mir etwas. Hörst du ihn noch, Lawrence?

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