Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
Peter es gedacht hatte. Zuerst hatte der Weg sie zu einem Freund Lores geführt, der jemanden kannte, der jemand anderen kannte. Immer sah es so aus, als wären sie nur noch einen Schritt weit entfernt, nur um festzustellen, dass ihr Ziel sich wieder bewegt hatte.
Der letzte Hinweis führte sie zu einer Nissenhütte, wo, wie man ihnen sagte, ein illegaler Glücksspielbetrieb unterhalten wurde. Es war nach Mitternacht, als sie durch eine dunkle, von Müll übersäte Gasse in H-Town spazierten. Die Sperrstunde war längst vorbei, aber überall ringsumher hörte man vereinzelte Geräusche– bellende Stimmen, klirrendes Glas, ein klimperndes Klavier.
» Was für eine Gegend«, sagte Peter.
» Du warst noch nicht oft hier, was?«, fragte Michael.
» Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt, überhaupt noch nie.«
Eine Schattengestalt kam aus einer Tür und trat ihnen in den Weg. Eine Frau.
» Oye, mi soldadito. ¿Tienes planes esta noche?«
Sie löste sich aus dem Schatten. Sie war weder jung noch alt und so dünn, dass sie beinahe knabenhaft aussah, aber das sinnliche Selbstbewusstsein ihrer Stimme und die Art, wie sie dastand– sie trat von einem Fuß auf den anderen und schob das Becken unter dem knappen Rock nach vorn–, verliehen ihr eine unabweisbare sexuelle Kraft. Ihr Blick unter den schweren Lidern war schwer, und sie musterte Peter von oben bis unten.
» ¿Cómo te puede ayudar, Teniente?«
Peter schluckte, und Röte stieg ihm ins Gesicht. » Wir suchen Cousins Haus.«
Die Frau lächelte und entblößte eine Reihe maisgrannenfleckiger Zähne. » Jeder ist irgendjemandes Cousin. Ich kann deine Cousine sein, wenn du willst.« Ihr Blick wanderte zu Lore, dann zu Michael. » Und was ist mit dir, Süßer? Ich kann eine Freundin kommen lassen. Und deine Freundin kann auch mitkommen, wenn sie will. Vielleicht möchte sie gern zuschauen.«
Lore nahm seinen Arm. » Er ist nicht interessiert.«
» Wir sind wirklich nur auf der Suche nach jemandem«, sagte Peter. » Entschuldigen Sie, wenn wir Sie gestört haben.«
Die Frau lachte dunkel. » Oh, ihr habt mich nicht gestört. Wenn du es dir anders überlegst, weißt du, wo du mich findest, Teniente.«
Sie gingen weiter. » Nettes Kerlchen«, sagte Michael, als sie außer Hörweite waren.
Peter schaute durch die Gasse zurück. Die Frau oder das, was er für eine Frau gehalten hatte, war wieder in der Tür verschwunden.
» Verdammt. Bist du sicher?«
Michael lachte wehmütig und schüttelte den Kopf. » Du musst wirklich öfter ausgehen, hombre.«
Vor sich sahen sie die Nissenhütte. Klingen aus Licht bohrten sich durch den Türspalt nach draußen. Zwei bullige Männer standen dort Wache. Im Schatten eines überquellenden Müllcontainers blieben die drei stehen.
» Am besten lasst ihr mich reden«, sagte Lore.
Peter schüttelte den Kopf. » Das war meine Idee. Ich sollte hingehen.«
» In dieser Uniform? Sei nicht albern. Bleib bei Michael. Und lasst euch nicht von irgendwelchen Transen abschleppen.«
Sie sahen ihr nach, als sie zur Tür marschierte. » Ist das eine so gute Idee?«, fragte Peter leise.
Michael hob die Hand. » Wart’s nur ab.«
Als Lore näher kam, strafften sich die beiden Männer und rückten zusammen, um ihr den Eingang zu versperren. Sie wechselte ein paar Worte mit ihnen, die Peter nicht verstehen konnte, und kam dann zurück.
» Okay, wir sind drin.«
» Was hast du ihnen gesagt?«
» Dass ihr beide gerade euren Sold gekriegt habt. Und dass ihr betrunken seid. Also versucht, euch so zu benehmen.«
In der Blechbaracke war es voll und laut, und der enge Raum war in große, sechseckige Tische unterteilt, an denen Karten gespielt wurde. Schwaden von Maisgrannenrauch hingen in der stickigen Luft und mischten sich mit dem süßsauren Duft von Maische; nebenan war eine Destille. Halb bekleidete Frauen– zumindest hielt Peter sie für Frauen– saßen mit dick geschminkten Gesichtern etwas abseits auf Hockern. Die Jüngste konnte nicht einen Tag älter als sechzehn sein, und die Älteste war fast fünfzig und sah hexenhaft aus mit ihrem Clowns-Make-up. Andere gingen hinten durch einen Vorhang hin und her, meistens Arm in Arm mit einem Mann, der sichtlich betrunken war. Wenn Peter es richtig verstanden hatte, bestand der ganze Sinn von H-Town darin, über ein gewisses Maß an illegalem Laster hinwegzusehen, es aber auf einen fest umgrenzten Bereich zu beschränken. Er sah die Logik darin– vieles war nur allzu menschlich–, aber das
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