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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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über dem Trittbrett. Nur dass der Kopf nicht mehr da war. Der Kopf war irgendwo anders.
    Vor dem Moteleingang lagen noch mehr Leichen. Streng genommen waren es keine Leichen, sondern Körperteile. Eine Polizistin war ausgeweidet worden, als sie aus ihrem Streifenwagen gestiegen war. Sie lehnte am Kotflügel und hielt die Pistole noch in der Hand. Ihre Brust war aufgeklappt wie die Aufschläge eines Trenchcoats. Ein Mann in einem violett glänzenden Trainingsanzug und mit so viel Gold um den Hals, dass man damit eine Piratenkiste hätte füllen können, war in die Höhe geschleudert worden. Sein Oberkörper hing wie ein Windvogel in den Ästen eines Ahorns, während die untere Hälfte auf der Motorhaube eines metallic-schwarzen Mercedes gelandet war. Die Fußknöchel lagen kreuzweise übereinander, als hätte die untere Hälfte des Körpers noch gar nicht gemerkt, dass der Rest fehlte.
    Grey wusste, dass er inzwischen in einem Zustand war, der einer Trance nahekam. Man konnte so etwas nur anschauen, wenn man jegliche Empfindungen ausschaltete.
    Was ihm schließlich den Rest gab, war eine Leiche, die gar nicht da war. Zwei Fahrzeuge, ein Honda Accord und ein Chrysler Minivan, waren in der Nähe der Ausfahrt frontal zusammengestoßen. Die Motorhauben der beiden Wagen waren ineinandergeknautscht wie der Blasebalg eines Akkordeons. Der Fahrer des Honda war durch die Windschutzscheibe erschossen worden. Ansonsten war der Wagen unberührt, aber der Minivan sah verwüstet aus. Die Schiebetür an der Seite war herausgerissen und wie ein Frisbee über den Parkplatz geschleudert worden. Auf dem Asphalt neben der Tür, inmitten von wild verstreuten Gegenständen– Koffern, Spielsachen, einer Großpackung Windeln–, lag die Leiche einer Frau. Dicht vor ihrer ausgestreckten Hand, auf die Seite gekippt, lag ein leerer Babysitz. Wo ist das Baby?, dachte Grey.
    Und dann: Oh.
    Grey entschied sich für den Pick-up. Er hätte nichts dagegen gehabt, mit dem Mercedes zu fahren, aber in Anbetracht dessen, was er gesehen hatte, war ein Truck vermutlich vernünftiger. Er hatte einen Chevy Halbtonner gehabt, damals, in einem Leben, das jetzt anscheinend nichts mehr bedeutete, und deshalb war der Pick-up etwas Vertrautes, woran er sich festhalten konnte. Er zog den enthaupteten Fahrer ganz heraus und legte ihn auf den Boden. Es war verstörend, dass er dem armen Kerl seinen Kopf nicht zurückgeben konnte; irgendwie war es nicht richtig, ihn so zurückzulassen. Aber der Kopf war auf den ersten Blick nirgends zu entdecken, und Grey wollte sich nicht länger damit abgeben. Er sah sich nach einem Paar Schuhe in seiner Größe um– Größe46 extra breit; was immer Zero mit ihm gemacht hatte, seine Füße waren dabei nicht geschrumpft– und zog schließlich die Slipper von den Füßen des Mannes auf dem Mercedes. Italienisches Lammleder, butterweich und um die Zehen ein bisschen eng, aber solches Leder würde sich weiten. Er stieg in den Truck und startete den Motor. Der Tank war etwas mehr als drei viertel voll. Grey schätzte, damit würde er die halbe Strecke bis Denver schaffen.
    Er wollte eben losfahren, als ihm noch etwas einfiel. Er schob den Schalthebel in Parkstellung und ging noch einmal in das Zimmer. Als er zum Truck zurückkam, hielt er die Pistole ein kleines Stück weit vom Körper weg, bevor er sie ins Handschuhfach legte. Die Waffe war sein einziger Begleiter, als er den Gang einlegte und losfuhr.

6
    Momma war im Schlafzimmer. Momma war im Schlafzimmer und bewegte sich nicht. Momma war im Schlafzimmer, und er durfte nicht hinein. Momma war tot, genau gesagt.
    Wenn ich nicht mehr da bin, denk daran, dass du isst. Das vergisst du nämlich manchmal. Bade jeden zweiten Tag. Milch ist im Kühlschrank, Lucky Charms stehen im Schrank, und in der Kühltruhe ist Hackfleischauflauf. Den kannst du aufwärmen. Eine Stunde bei hundertachtzig Grad, und vergiss nicht, den Backofen auszuschalten, wenn du fertig bist. Sei mein großer Junge, Danny. Ich liebe dich sehr. Ich kann nur nicht länger Angst haben. Deine Momma.
    Sie hatte den Brief unter den Salz- und Pfefferstreuer auf dem Küchentisch gelegt. Danny mochte Salz, aber keinen Pfeffer, denn davon musste er niesen. Zehn Tage waren jetzt vergangen– das wusste Danny, weil er jeden Morgen ein Zeichen in den Kalender machte–, und der Brief lag immer noch da. Er wusste nicht, was er damit machen sollte. Überall roch es eklig; wie ein Waschbär oder ein Opossum roch, wenn es tagelang

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