Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
waren, und daran, wie stinkig Richards anschließend gewesen war. Und der war keiner, den man gern stinkig machen wollte, um es zurückhaltend zu sagen. Ein bloßer Blick von dem Mann, und Greys Gedärm verwandelte sich in Wasser.
Vielleicht waren die Reinigungskräfte alle deshalb abgehauen. Vielleicht, weil sie Angst vor Richards hatten.
Jetzt überfiel ihn der Durst– ein rasender, irrer Durst, als hätte er seit Tagen nichts mehr getrunken. Im Bad klemmte er den Kopf unter den Wasserhahn, schluckte wie wild und ließ sich das Wasser über das Gesicht strömen. Langsam, Grey, dachte er, du musst kotzen, wenn du so viel auf einmal trinkst.
Zu spät– das Wasser rauschte in seinen Magen wie eine Brandungswelle, und ehe er sichs versah, lag er auf den Knien vor der Kloschüssel und umarmte sie, und das ganze Wasser kam wieder hoch.
Das war dämlich, und er war selbst schuld. Er blieb eine Weile auf den Knien und wartete, bis die Krämpfe vorbei waren. Er atmete den Gestank seines eigenen Erbrochenen ein– hauptsächlich Wasser, aber zum Schluss noch ein schleimiger, eigelbartiger Klumpen, zweifellos die unverdauten Reste des Beef Bourguignon. Offenbar hatte er sich auch etwas gezerrt, denn in seinen Ohren sirrte etwas: ein schwaches, fast unhörbares Pfeifen, als ob tief in seinem Schädel ein winziger Motor lief.
Mühsam rappelte er sich hoch und spülte die Kotze weg. Auf dem Frisiertisch sah er ein Fläschchen Mundwasser auf dem Tablett mit Seifen und Lotions; alles war unberührt, und er nahm einen Mundvoll, um den Geschmack wegzuspülen, gurgelte lange und kräftig und spuckte das Mundwasser ins Waschbecken. Dann schaute er sich im Spiegel an.
Greys erster Gedanke war, jemand müsse ihm einen Streich gespielt haben: einen ausgeklügelten, gar nicht komischen, unwahrscheinlichen Streich, bei dem der Spiegel auf irgendeine Weise gegen ein Fenster ausgetauscht worden war, auf dessen anderer Seite ein Mann stand, ein viel jüngerer, besser aussehender Mann. Der Drang, die Hand auszustrecken und das Bild zu berühren, war so stark, dass er es wirklich tat, und der Mann im Spiegel ahmte seine Bewegungen haargenau nach. Fuck, was ist mit mir los?, dachte Grey, und dann sagte er es laut vor sich hin: » Fuck, was ist los?« Das Gesicht, das er sah, war schmal und attraktiv. Die Haut rein. Das dichte, kastanienbraune Haar hing ihm über die Ohren. Und seine Augen funkelten regelrecht. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte Grey so gut ausgesehen.
Etwas anderes zog seinen Blick auf sich. Eine Art Mal an seinem Hals. Er beugte sich vor und legte den Kopf in den Nacken. Zwei Reihen von symmetrischen, perlförmigen Eindrücken, grob halbkreisartig angeordnet. Der obere Halbkreis reichte bis an die Kante seines Kiefers, der untere berührte die Kurve des Schlüsselbeins. Eine rosarot gefärbte Wunde, die anscheinend erst vor Kurzem verheilt war. Wann zum Teufel war das passiert? Als Junge war er mal von einem Hund gebissen worden, und das hier sah genauso aus. Ein übellauniger alter Sumpfköter aus dem Tierheim, aber er hatte ihn trotzdem geliebt, denn er hatte ihm gehört– bis zu dem Tag, an dem er Grey in die Hand gebissen hatte, ganz ohne Grund, Grey hatte ihm nur einen Hundekuchen geben wollen. Sein Vater hatte den Hund in den Garten geschleift. Zwei Schüsse, daran erinnerte Grey sich ganz deutlich. Auf den ersten war ein schrilles Kläffen gefolgt, der zweite hatte den Hund für immer verstummen lassen. Buster hatte er geheißen. Grey hatte seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht.
Aber das da an seinem Hals. Woher kam es? Es hatte etwas Vertrautes, eine Art Déjà-vu, als wäre die Erinnerung daran nur in einer falschen Schublade seines Kopfes verstaut.
Grey, weißt du es nicht mehr?
Die Stimme klang wie das Rascheln von altem, trockenem Laub. Grey fuhr herum.
» Iggy?«
Stille. Er kehrte ins Zimmer zurück. Öffnete den Schrank, ging in die Knie und spähte unter die Betten. Nichts.
Grey. Grey.
» Iggy, wo bist du? Hör auf mit dem Scheiß.«
Erinnerst du dich nicht, Grey?
Etwas war nicht in Ordnung mit ihm, absolut nicht in Ordnung. Das war nicht Iggys Stimme, was er da hörte. Die Stimme war in seinem Kopf. Die Angst in ihm schwoll an. Jede Fläche, auf die sein Blick traf, schien zu vibrieren. Er rieb sich die Augen, aber es wurde nur noch schlimmer. Es war, als sehe er nicht nur seltsame Dinge, sondern als fühle, rieche und schmecke er sie auch– als hätten die Drähte in seinem Gehirn sich
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