Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
wachte er im Dunkeln auf, weil jemand sein Haar berührte, und als er die Augen öffnete, saß sie da. Danny hatte es nicht gern, wenn man ihn berührte; dieses unruhige Gefühl wurde davon ziemlich furchtbar, aber es war meistens okay, wenn Momma es tat, denn daran war er gewöhnt. Was ist denn, Momma?, fragte Danny. Stimmt was nicht? Aber sie sagte nur: Sschh, Danny, und sie benutzte ihre leise Stimme. Etwas lag auf ihrem Schoß, in ein Handtuch gewickelt. Ich hab dich lieb, Danny. Weißt du, wie lieb ich dich habe? Ich hab dich auch lieb, Momma, sagte er, denn das war die richtige Antwort, wenn jemand Ich-hab-dich-lieb sagte, und unter ihrer liebkosenden Hand schlief er ein, und am Morgen war ihre Schlafzimmertür geschlossen und ging nicht mehr auf, und Danny wusste Bescheid. Er brauchte gar nicht nachzusehen.
Er beschloss, trotzdem den Bus zu fahren.
Weil er ja vielleicht doch nicht der Einzige war, der noch lebte. Weil es den Happy-Klick gab, wenn er den Bus fuhr. Weil er nicht wusste, was er jetzt sonst mit sich anfangen sollte, wo Mommy im Schlafzimmer und die Milch sauer war und so viele Tage vergangen waren.
Am Abend vorher hatte er seine Sachen herausgelegt, wie Momma es immer machte, eine Khakihose und ein weißes Hemd und braune Schnürschuhe, und er hatte sich ein Lunchpaket gemacht. Viel zu essen war nicht mehr da, nur noch Erdnussbutter und ein paar Graham-Cracker und eine Tüte mit eingetrockneten Marshmallows, aber er hatte noch eine Flasche » Mountain Dew«-Wasser aufgehoben, und jetzt packte er alles in seinen Rucksack, zusammen mit dem Taschenmesser und seinem Glückspenny, und dann nahm er seine Mütze aus dem Schrank, die blau gestreifte Lokomotivführermütze, die Momma ihm in Traintown gekauft hatte. Traintown war ein Freizeitpark, wo Kinder mit den Zügen fahren konnten, mit Loks wie Thomas. Schon als kleiner Junge war Danny dort gewesen. Es war ihm der liebste Ort auf der ganzen Welt, doch die Wagen waren mittlerweile zu klein für ihn. Danny mit seinen dicken Beinen und langen Armen passte nicht mehr hinein. Er schaute immer noch gern zu, wie die Züge im Kreis fuhren und kleine Dampfwolken aus den Schloten kamen. Außer bei ihren Ausflügen nach Traintown erlaubte Momma ihm nicht, die Mütze draußen zu tragen, weil sie meinte, die Leute würden ihn auslachen, aber Danny dachte sich, es wäre schon okay, sie jetzt aufzusetzen.
Bei Tagesanbruch ging er los. Die Busschlüssel waren in seiner Manteltasche, lagen flach an seinen Schenkel gedrückt. Das Depot war exakt 3,2Meilen weit weg, in der Manheim Avenue. Er war noch keinen Block gegangen, als er die ersten Leichen sah. Manche saßen im Auto, andere lagen in ihrem Vorgarten oder auf den Mülltonnen, und ein paar hingen sogar in den Bäumen. Ihre Haut war blau-grau wie bei Mrs. Kim, und ihre Kleider spannten überall, weil die Arme und Beine der Leichen in der Sommerhitze angeschwollen waren wie Hotdogs, die man in der Verpackung heiß gemacht hatte. Es sah schlimm aus, schlimm, aber auch seltsam und interessant; wenn er mehr Zeit gehabt hätte, wäre er stehen geblieben, um es sich genauer anzusehen. Überall lag Müll herum, Papierfetzen, Plastikbecher und flatternde Einkaufstüten, und das gefiel Danny nicht. Man warf keinen Müll auf die Straße.
Als er am Depot ankam, schien die Sonne ihm warm auf die Schultern. Die meisten Busse waren da, aber nicht alle. Die Reihen, in denen sie parkten, hatten Lücken wie ein Mund mit fehlenden Zähnen. Dannys Bus, die Nummer zwölf, wartete jedoch auf seinem gewohnten Platz. Es gab viele verschiedene Arten von Bussen, Shuttle-Busse, Charterbusse, Linienbusse und Reisebusse, und Danny wusste über alle Bescheid. So etwas tat er gern: Alles lernen, was man über eine Sache wissen konnte. Sein Bus war ein Redbird 450, Modell Foresight. Alles war auf dem neuesten Stand der Technik: Er hatte fest installierte Einbauten, eine Easy-Hood( TM )-Hauben-Öffnungshilfe, ein hochentwickeltes Fahrer-Informationsdisplay, das eine Fülle von Systemdaten sowohl für den Fahrzeugführer als auch für die Service-Techniker bereithielt, sowie ein spezialgefertigtes Redbird-Comfortride( TM )-Fahrgestell. In puncto Sicherheit, Qualität und Langlebigkeit war der 450 das Beste, was es auf dem Markt gab.
Danny kletterte an Bord und schob den Schlüssel ins Zündschloss. Der große Caterpillar-Dieselmotor erwachte donnernd zum Leben, und eine warme Welle breitete sich in Dannys Bauch aus und spülte alle seine
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