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Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)

Titel: Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin Cronin
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kurzgeschlossen.
    Erinnerst du dich nicht ans … Sterben?
    Und plötzlich tat er es. Grey erinnerte sich. Die Erinnerung traf ihn wie ein Pfeil in der Brust. Das helle Blau der Sicherheitszelle, die Tür, die sich langsam öffnete. Proband Zero, der über ihm aufragte und sich zu seiner vollen, furchtbaren Größe streckte, und Grey, wie er weinte und weinte. Zeros Kiefer an seinem zurückgebogenen Hals und der Biss der messerscharfen Zähne, Reihe um Reihe. Zero fort und Grey allein. Das Gellen des Alarms, der Lärm der Schüsse, die Schreie sterbender Männer. Grey, taumelnd im Flur, eine Vision der Hölle, Blut auf Wänden und Türen, und überall lagen menschliche Überreste verstreut, ein Schlachthaus voller Arme und Beine und Rümpfe, aus denen sich die Eingeweide schlängelten. Grey sah wieder vor sich, wie klebriges Arterienblut aus seiner Gurgel spritzte und er die Finger auf die Wunde presste. Wie die Luft rasselnd aus seiner Lunge entwich und er mühsam über den Boden rutschte, bis ihn irgendwann Dunkelheit umhüllte und die Welt vor seinen Augen verschwamm. Wie er losgelassen hatte.
    O Gott.
    Komm zu mir, Grey. Komm zu mir.
    Er stürmte aus dem Zimmer, und das Tageslicht prallte ihm entgegen. Es war verrückt; er war verrückt. Er rannte über den Parkplatz wie ein großes, schwerfälliges Tier, blick- und ziellos, die Hände auf die Ohren gepresst. Ein paar Autos standen verstreut auf dem Platz, viele mit offenen Türen. Aber in seinem weißglühenden Zustand registrierte Greys Verstand diesen Umstand nicht, wie er auch andere beunruhigende Details nicht zur Kenntnis nahm: die zertrümmerte Fensterfront des Motels. Den Highway, auf dem anscheinend kein einziges Fahrzeug unterwegs war. Die leere Tankstelle auf der anderen Seite der Zufahrtsstraße, deren Fenster rot verschmiert waren, und die Leiche eines Mannes, der wie zu einer spontanen Siesta an die Zapfsäule gelehnt auf dem Boden saß. Das verwüstete, stille McDonald’s, wo Stühle und Tische und Ketchupbeutel und » Happy Meal«-Gimmicks und Gäste aller möglichen Hautfarben und Altersgruppen durch die Fenster herausgeschleudert worden waren. Den Chemikalienrauch von dem immer noch brennenden Wrack eines zwei Meilen weit entfernten Sattelschleppers. Und die Vögel– riesige, kreisende Wolken von großen schwarzen Vögeln, Krähen, Raben und Bussarden und dazwischen die Aasfresser, die über alldem entspannt ihre Runden drehten. Alles war still wie auf einem Schlachtfeld nach einem furchtbaren Gefecht, überflutet von der gnadenlosen Sommersonne.
    Siehst du, Grey?
    » Hör auf! Sei still!«
    Er stolperte über etwas Weiches, Fleischiges. Feucht und matschig glitschte es unter seinem Fuß, sodass er ausrutschte und krachend auf Hände und Knie fiel.
    Sieh die Welt, die wir gemacht haben.
    Er presste die Augen zu und versuchte sich mit der Kraft seines Willens zum Aufwachen zu zwingen. Er rang nach Atem. Ohne hinzusehen, wusste er, dass das Weiche, Glitschige eine Leiche war. Bitte, dachte er, ohne zu wissen, wen er damit meinte. Sich selbst. Die Stimme in seinem Kopf. Gott, an den er nie so recht geglaubt hatte, aber an den er jetzt bereitwillig glauben wollte. Es tut mir leid, was immer ich getan habe. Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid.
    Als er schließlich hinschaute, hatte er alle Hoffnung verloren. Die Tote war eine Frau. Die Haut ihres Gesichts spannte sich so straff über die Knochen, dass man schwer erkennen konnte, wie alt sie war. Sie trug eine Jogginghose und ein T-Shirt mit rundem Ausschnitt, der mit einer kleinen Rüsche aus rosa Spitze besetzt war. Grey nahm an, dass sie im Bett gelegen hatte und herausgekommen war, um nachzusehen, was hier passierte. Sie lag mit verdreht ausgestreckten Gliedern auf dem Asphalt, und Rücken und Schultern waren verrenkt. Fliegen summten über ihr und krochen in Mund und Augen. Der eine Arm lag mit aufwärts gewandter Handfläche auf dem Boden, der andere war über der Brust gekrümmt, und die Fingerspitzen berührten die Wunde an ihrem Hals. Kein Schnitt, kein Schlitz, nichts derart Ordentliches. Ihre Kehle war zerbissen, weggerissen bis auf die Knochen.
    Sie war nicht die Einzige. Greys Gesichtsfeld verbreiterte sich, wie wenn eine Kamera sich über einen Schauplatz erhebt. Links von ihm, fünf Schritte entfernt, parkte ein riesiger Chevy Pick-up mit offener Fahrertür. Ein stämmiger Mann in einer Anzughose mit Hosenträgern war vom Sitz gezerrt worden und hing jetzt kopfüber

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