Die Zwölf: Band 2 der "Passage-Trilogie" - Roman - (German Edition)
nächsten Gruppe, das verspreche ich dir.«
» Ich weiß nicht, hombre. Der Service hier ist ziemlich gut. Irgendwie gefällt’s mir hier. Wer geht mit dir?«
» Sara, Hollis und Kate. Greer bleibt hier; er hilft bei der Evakuierung. Eustace stellt ein Team zusammen.«
» Und was ist mit Lish?«
» Ich würde sie fragen, wenn ich sie finden könnte. Ich sehe sie kaum noch. Sie reitet mit ihrem Pferd durch die Gegend. Soldier nennt sie es. Was sie macht– keine Ahnung.«
» Tut mir leid, dass du sie verpasst hast. Sie war heute Morgen hier.«
» Lish war hier?«
» Sie wollte Hallo sagen, sagte sie.« Michael schaute ihn an. » Warum? Ist das so merkwürdig?«
Peter runzelte die Stirn. » Wahrscheinlich nicht. Wie kam sie dir vor?«
» Wie wohl? Wie Lish.«
» Sie wirkte also nicht verändert?«
» Nicht, dass es mir aufgefallen wäre. Sie war aber auch nicht sehr lange hier. Sie wollte Sara bei den Blutspenden helfen.«
Als Interimsbeauftragte für Öffentliche Gesundheit hatte Sara herausgefunden, dass das Gebäude, das als Krankenhaus diente, nur dem Namen nach ein Krankenhaus war. Geahnt hatte sie es schon lange. Es gab fast keine medizinischen Geräte und keinerlei Blutkonserven. Im Stadion hatte es viele Verletzte gegeben, Kinder wurden geboren und auch sonst Blut gebraucht. Also hatte sie aus der Lebensmittelverarbeitung einen Kühlschrank herbeischaffen lassen und ein Blutspendeprogramm organisiert.
» Lish als Krankenschwester.« Peter schüttelte den Kopf über diese ironische Fügung. » Das würde ich gern sehen.«
Was aus den Rotaugen geworden war, konnte man nie ganz klären. Diejenigen, die nicht im Stadion eliminiert worden waren, hatten im Grunde einfach aufgehört zu existieren. Aus alldem konnte man nur einen Schluss ziehen, der auch durch Saras Geschichte von Lila bestätigt wurde: Die Zerstörung der Kuppel und der Tod des Mannes, der » die Quelle« genannt worden war, hatten eine Kettenreaktion hervorgerufen, wie sie sie bei den Abkömmlingen Babcocks auf dem Berg in Colorado erlebt hatten. Augenzeugen beschrieben es als ein rapides Altern, als würden hundert Jahre eines geborgten Lebens innerhalb weniger Sekunden aufgegeben: Die Haut wurde runzlig, die Haare fielen büschelweise aus. Gesichter welkten auf dem Schädelknochen. Die Leichen, die sie gefunden hatten– immer noch in Anzug und Krawatte–, waren nichts als Haufen von braunen Knochen gewesen und hatten ausgesehen, als seien sie seit Jahrzehnten tot.
Als der Tag der Abreise heranrückte, arbeitete Sara buchstäblich rund um die Uhr. Im Flachland sprach sich herum, dass man jetzt richtige medizinische Versorgung bekommen konnte, und immer mehr Leute schauten herein. Ihre Beschwerden reichten von einer alltäglichen Erkältung über Ernährungsmängel bis zu den zahlreichen Gebrechen des Alters. Ein paar waren anscheinend auch nur neugierig, wie es wäre, einmal zum Arzt zu gehen. Sara behandelte, wen sie behandeln konnte. Wenn nichts mehr zu machen war, spendete sie Trost, und bald sah sie zwischen beidem kaum noch einen Unterschied.
Sie verließ das Krankenhaus nur noch zum Schlafen und manchmal zum Essen. Oft brachte Hollis ihr etwas, und immer kam er mit Kate im Schlepptau. Sie waren in ein Apartment am Rande des alten Marktes einquartiert worden– eine merkwürdige Behausung mit großen, getönten Fenstern, die für ein permanentes Abendlicht sorgten. Es war ein unheimliches Gefühl, dass die früheren Bewohner Rotaugen gewesen waren, aber die Wohnung war komfortabel mit ihren großen, mit weichen Leintüchern bezogenen Betten, mit heißem Wasser und einem funktionierenden Herd, auf dem Hollis köstliche Suppen und Eintöpfe kochte aus Zutaten, von denen sie lieber nichts wissen wollte. Sie aßen zusammen im Dunkeln bei Kerzenschein und fielen dann ins Bett, wo sie miteinander schliefen, zärtlich und leise, um ihre Tochter nicht zu wecken.
An diesem Abend beschloss Sara, sich freizunehmen. Sie war todmüde, hatte einen Mordshunger, und sie sehnte sich nach ihrer Familie. Ihre Familie: Wie bemerkenswert waren diese beiden Wörter nach allem, was passiert war. Es waren die wunderbarsten Worte in der Geschichte der menschlichen Sprache. Als Hollis in die Kuppel gestürmt war, hatte ihr Herz sofort gewusst, was ihre Augen nicht glauben konnten. Natürlich war er gekommen, um sie zu holen. Hollis hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, und hier war er. Wie hätte es auch anders sein sollen?
Sie stieg den Berg
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