Die zwoelf Gebote
zwölften Gebot, Du sollst deinen Mitmenschen kein leid zufügen? Bist du manchmal in Schlägereien verwickelt?"
„Vater, wo ich doch keiner Fliege etwas zuleide tun kann! Ich weiß ja nicht einmal, wie man sich prügelt."
Ralphs Vater war nach diesem Gespräch nicht klüger als zuvor. Er war fest überzeugt, daß sein Sohn keines von Gottes Geboten gebrochen hatte.
Vielleicht, dachte er, war Ralph auch nur in der Vergangenheit ein Pechvogel, und es ändert sich von nun an, weil er ja alle
Gebote einhält und befolgt. Da muß er doch jetzt allmählich
mehr Glück haben.
Aber da irrte er sich.
Am nächsten Tag schüttete eine Serviererin Ralph, als er beim Essen in einem Restaurant saß, kochend heißen Kaffee über die Hand und verbrühte sie ihm. Ralph mußte in die Notaufnahme im Krankenhaus gebracht werden.
Dort rutschte er auf dem glattgebohnerten und gerade frisch gewachsten Boden im Korridor aus und brach sich ein Bein. Man legte ihn auf eine Bahre und trug ihn in ein Zimmer. Dort ließ der Pfleger die Bahre fallen und Ralph brach sich auch noch einen Arm.
Zwei Wochen lang lag er im Krankenhaus. Als er wieder heimkam, hatte er ein Gipsbein, einen Gipsarm, und seine Hand war auch noch immer verbunden.
Sein Vater war ganz verzweifelt und ging zu seinem Pfarrer. „Warum verfolgt meinen Sohn derart das Pech?" fragte er ihn. Und er erzählte dem Priester alle Mißgeschicke, die Ralph schon widerfahren waren.
Aber auch der Pfarrer schüttelte nur den Kopf. „Ich kann mir nichts anderes denken, als daß er eben eines von Gottes Geboten bricht."
„Nein", widersprach Ralphs Vater, „das kann nicht sein. Er hält jedes einzelne sorgsamst ein."
Der Pfarrer schüttelte noch einmal den Kopf. „Dann weiß ich auch keine Antwort."
Das Problem war, daß niemand eine Antwort wußte. Es stand in der Bibel geschrieben, wenn man alle Zwölf Gebote befolgte, konnte man ein glückliches und friedvolles Leben führen. Und was war? Da befolgte einer schon mal aufs Genaueste alle Zwölf Gebote, aber sein Leben war elend und
mies von vorne bis hinten!
Jeden Sonntag bestanden Ralphs Eltern darauf, daß er, obwohl nach wie vor in Gips und auf Krücken, aufstand und mit ihnen in die Kirche ging. „Wir möchten nicht", sagte seine Mutter, „daß Gott zornig auf dich wird."
„Zornig auf mich!" höhnte Ralph. „Ich bin doch schon die ganze Zeit sein Sandsack!" „Aber, aber! Sprich nicht so, mein Sohn! Und jetzt stehe auf und komme mit uns zur Kirche." Ralph hatte Schmerzen und fühlte sich überhaupt total schlecht, aber er gedachte des Gebots, daß man Vater und Mutter ehren muß, damit man lange lebe und es einem wohlergehe auf Erden, und kleidete sich in Gottes Namen an und kam mit zur Kirche. Dort saß er und hatte solche Schmerzen, daß er kaum wahrnahm, was der Pfarrer alles predigte.
Aber er gelobte: „Ich werde so lange jedes einzelne Gebot einhalten, bis diese Pechsträhne endlich einmal aufhört."
Zwei Monate später waren Ralphs Arm und Bein verheilt, und auch den Verband von der verbrühten Hand konnte man entfernen. Er konnte wieder zur seinem Arbeitsplatz zurückkehren, einem Videoladen.
Er kam zur Tür herein und sagte: „Da bin ich wieder." Aber der Geschäftsinhaber sagte: „Sie haben zu lange gefehlt, da mußte ich jemanden anderen einstellen. Sie sind entlassen." Das war wiederum noch längst nicht alles. Als er nach Hause zurückkam, fand er den kleinen Garten, den er angelegt hatte und sehr liebte, von irgendeinem Tier verwüstet.
Am Abend, als er zum Essen ausgegangen war, wurde ihm sein Auto gestohlen. Das bemerkte er allerdings erst drei Tage später, weil der Fisch, den er in der Gaststätte gegessen hatte, nicht mehr gut gewesen war und man ihn mit einer Fischvergiftung in ein Krankenhaus bringen und ihm den Magen auspumpen mußte. Seine Eltern besuchten ihn. „Was wird als nächstes passieren?" weinte seine Mutter. „Es kann nichts mehr passieren", sagte Ralph. „Von jetzt an kann es nur noch besser werden, alles."
Er verließ das Krankenhaus zwei Tage darauf, und als er die Straße überquerte, fuhr ihn ein Bus an.
„Jetzt ist es eindeutig!" rief sein Vater. „Du tust etwas, was Gott nicht gefällt!"
Sie gingen wieder alle Zwölf Gebote durch, konnten aber nichts finden, wogegen Ralph sich verging.
„Du mußt es einfach intensiver versuchen", sagte der Vater. Aber Ralph hatte es inzwischen satt. „Nein. Ich habe es jetzt lange genug intensiv versucht. Von nun an ist
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