Die zwoelf Gebote
seinen Eltern zu suchen und sie zu finden. „Du warst ein guter und anständiger Junge, Edward. Wir sind stolz auf dich und werden dich hier vermissen."
„Sie werden mir auch fehlen", log Edward. Denn in Wirklichkeit konnte er es kaum erwarten, daß er endlich fort durfte.
Am nächsten Tag verabschiedete Edward sich von allen und machte sich auf, seine Eltern zu suchen. Aber er wußte schon, daß es nicht leicht sein würde. Zuerst suchte er den Priester auf.
„Ich möchte ja meinen Vater und meine Mutter ehren", sagte er, „aber das kann ich nicht, weil ich nicht weiß, wer und wo sie sind. Können Sie mir da helfen?"
Der Priester dachte kurz nach und schüttelte dann den Kopf. „Das wird sehr schwierig sein, Edward", sagte er. „Niemand hat sie je gesehen."
„Hat sie denn nicht jemand gesehen, wie sie mich zum Waisenhaus gebracht haben?" fragte Edward.
Der Priester beschloß, Edward sei alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.
„Sie haben dich nicht ins Waisenhaus gebracht. Sie haben dich in eine Mülltonne geworfen. Dort hat dich ein Polizist gefunden und ins Krankenhaus gebracht."
Edward starrte ihn an. „In eine Mülltonne? Sie haben mich in eine Mülltonne geworfen und wollten mich dort sterben
lassen?"
„So war es wohl, ja."
Edward war völlig schockiert.
„Sicher war das nur, weil sie keine Möglichkeit hatten, dich zu behalten", versuchte ihn der Priester zu trösten. „Vermutlich waren sie sehr arm."
Aha, also sehr arm waren sie. Zumindest wußte Edward schon mal dies über sie.
„Man hat mir gesagt, mein Name war in meine Decke eingenäht. Edward Bixby."
„Ja, das stimmt. Die Polizei hat lange gesucht, um deine Eltern zu finden, aber vergeblich."
„Ich finde sie", erklärte Edward entschlossen:"Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Aber ich finde sie."
Er begann mit seiner Suche. Als erstes schaute er im Telefonbuch nach, ob es darin Leute mit dem Namen Bixby gab. Es standen ein halbes Dutzend Bixby darin. Der erste Bixby war ein Arzt.
Ich wette, dachte Edward, das ist mein Vater. Er war wahrscheinlich damals sehr arm und hatte kein Geld, um mich zu behalten. Aber jetzt wird er sich freuen, mich zu sehen.
Er ging in die Praxis des Arztes. „Ich möchte zu Dr. Bixby." „Haben Sie einen Termin?"
„Nein", sagte Edward, „aber er wird sich freuen, mich zu sehen. Sagen Sie ihm, sein Sohn ist da." Die Arzthelferin starrte ihn an. „Sein Sohn?" „Ja", sagte Edward. „Augenblick."
Die Arzthelferin verschwand im Sprechzimmer.
Im nächsten Augenblick kam der Doktor heraus. Er war sehr groß und sah gut aus, aber er war ein Farbiger.
Edward stand da wie angewurzelt. „Sie wollten zu mir?" fragte der Arzt.
Edward schluckte. „Äh nein, Sir, ich. " ich glaube doch nicht.
Auf Wiedersehen."
Er flüchtete.
Der nächste Bixby auf seiner Liste wohnte in einem Haus am Stadtrand. Es war ein schönes Haus, und Edward merkte, wie sein Herz schneller zu klopfen begann. Der Besitzer eines solchen Hauses mußte reich sein.
Das müssen meine Eltern sein, dachte er. Sie waren arm, als ich auf die Welt kam, aber jetzt haben sie Geld, und wahrscheinlich haben sie schon nach mir gesucht.
Er klingelte an der Haustür. Ein Hausmädchen in
Personalkleidung öffnete.
„Ja, bitte?"
„Ja ...", sagte Edward, „... ich bin hier, um meine Mutter zu besuchen."
Das Hausmädchen starrte ihn an. „Ihre Mutter?" „ Ja. Mrs. Bixby. Ich bin Edward Bixby."
„Sind Sie sicher, daß Sie an der richtigen Adresse sind?" fragte
das Hausmädchen unsicher.
„Ganz sicher", sagte Edward.
Er wußte tief im Herzen, daß er hier richtig war.
„Augenblick", sagte das Hausmädchen, „ich hole Mrs. Bixby." Edward wartete aufgeregt. Endlich würde er seiner Mutter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
Kurz danach erschien eine junge Frau. Sie mochte an die fünfundzwanzig sein. „Sie wollten mich sprechen?" fragte sie.
„Nein, Madame, ich möchte Mrs. Bixby sprechen." „Ich bin Mrs. Bixby."
Edward starrte sie verständnislos an. „Das kann nicht sein. Ich
meine Sie sind zu jung, um meine Mutter zu sein!" „Das würde ich auch annehmen", sagte die Frau. „Sie meinen, Sie wissen nicht, wer Ihre Mutter ist?"
„Nein", sagte Edward, „aber ich finde sie schon."
Er suchte auch alle anderen Bixby-Adressen aus dem Telefonbuch auf, aber er hatte kein Glück. Entweder waren sie zu jung oder zu alt oder hatten die falsche Hautfarbe. Aber veranlaßte dies Edward, aufzugeben? Absolut nicht! Im
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