Diebe
dann? Schicke Büros, schicke neue Häuser. Der Fluss fließt bald wieder, das sagen jetzt alle. Das Barrio wird der Traum eines reichen Mannes, und wer kontrolliert diesen Traum? Wollt ihr’s wissen?«
»Dein Sohn«, sagt Demi.
»Mein Sohn sitzt bald auf so ’nem Berg von Geld, dass er ’ne lange Leiter braucht.«
»Und er wird dir Schutz gewährn?«, sagt Demi bitter. »So wie Señor Moro?«
»Is ’n Unterschied.« Sie nimmt einen großen Schluck Wein. »Das hier ist Familie.«
In Baz’ Kopf erscheint ein Bild von Raoul, mit geisterhaftem Lächeln, der Körper gegen den Drahtzaun gesunken. Raoul war Familie. Und ihr fällt noch etwas ein. Sie erinnert sich an das, was Señora Dolucca ihr über ihren Mann und die Straßenmädchen erzählt hat. »Und der Captain – ist der auch Familie? Hat er dir auch Schutz gegeben?«
Sie runzelt verblüfft die Stirn. »Was willst du damit sagen?«
»Der Captain, er hat dir Schutz gegeben, als du zuerst in die Stadt gekommen bist.«
»Typisch Baz. Weißt immer mehr, als du sagst. Aber bei dieser Sache liegste verkehrt: Der Captain gibt niemals, der Captain nimmt. Als dieser Captain noch ’n einfacher Uniformträger war, auf der Straße seine Runden gemacht hat, da hat er mich genommen, hat mich genommen, als ich noch nicht wusste, wie die Stadt funktioniert, hat erst mich genommen und dann, als das Kind kam, hat er’s Kind genommen ...«
»Der Captain ist Eduardos wirklicher Vater!«
»Wirklich ist er auf jeden Fall, der Captain. Vielleicht hat Blutsverwandtschaft nicht so viel zu bedeuten, Baz ...«
»Dein Sohn geht uns nix an, Fay.« Demis Stimme ist hart, ganz geschäftsmäßig, will es jedenfalls sein. »Wir sind gekommen, um uns einen Anteil von dem zu holn, was uns zusteht.« Er hält den Kasten hoch. »Durch drei teilen klingt fair. Was sagst du?«
Fay zuckt mit den Schultern und zeigt wieder ihr Beinahelächeln. »Nur zu, Demi. Mach das alte Ding auf.«
»Deine Rente«, sagt Demi. »Bringt uns von hier weg. Weißte das noch?« Er klappt den Deckel auf, blickt hinein, und dann weiten sich seine Augen, als wäre er von einer Wespe gestochen worden. »Was ist das?« Er kippt den Kasten. Es fällt nichts heraus außer einem bisschen Kleingeld und einigen kleinen Plastiktüten mit weißem Zeugs. »Baz!«
»Ich? Ich hab nur den Ring genommen und ein paar Dollar, um dich freizukriegen.«
Fay grunzt. »Jeder fasst mal rein in den Honigtopf. Glaubst du, ich lass ihn da stehen, bis die ganze Welt reingefasst hat? Vergiss es, Demi. Dieser Kasten hier, das warn immer nur kleine Fische, und wir sind jetzt der kleinste Fisch im ganzen Fluss.« Sie greift plötzlich zum Glas und nimmt einen Schluck. »Kleine Fische werden gefressen, es sei denn, sie verändern sich oder sie sind verdammt schnell und schlau genug, sich keinen Ärger einzuhandeln.«
»Der Fluss ist tot«, sagt Baz. »Niemand würde neben diesen Schlammstreifen irgendwas hinbauen.«
Fay schiebt ihren Sessel zurück und erhebt sich etwas unsicher. »Ihr seid beide tot, wenn ihr nicht verschwindet. Tot oder Lumpenfetzen und Haut und Knochen auf’m Berg. Wollt ihr das? He? Er ist nämlich unten. Also, wollt ihr das? Könnt gern gucken, hier.« Sie zeigt auf das zur Stadt gelegene Fenster. Demi wirft ihr einen Blick zu, und Baz kommt herbeigelaufen, um zu gucken.
Wenn sie sich ein bisschen den Hals verrenken, können sie auf die Gasse hinunterspähen, die an dem Haus vorbei zum Fluss führt. Dort unten sind etwa fünf, sechs, vielleicht sieben Gestalten zu erahnen, einige von ihnen mit Taschenlampen, und sie sind offenbar schon dabei, das Haus zu betreten.
»Sie kommen, Demi!«
Fay steht am anderen Ende des Zimmers, müht sich mit einer Rolle Seil ab. »Keine Zeit mehr fürs Dach, ihr müsst durchs Fenster. Dieses hier. Baz, die Tür!«
Immer einen Ausweg zur Verfügung haben, das hat sie ihnen gepredigt.
Baz rennt zur Tür, schließt sie und schiebt den Riegel vor. Demi lässt den Kasten fallen, reißt das Fenster auf der Flussseite auf, verknotet das Seil und wirft es hinaus. Hier geht es weiter nach unten als im Haus der Doluccas.
Demi kann ihre Gedanken lesen. »Sieh’s positiv, Baz – wenigstens fahrn keine Polizeiautos da unten rum.«
Nein, es ist eine andere Sorte Haie, die ihnen dort ans Leder will.
Sie klettert auf die Fensterbank, doch bevor sie ihre Beine nach draußen schwingt, dreht sie sich noch einmal um und sieht Fay an, die hinter ihnen steht, ganz dicht, voller Sorge. So hat
Weitere Kostenlose Bücher