Diebe
wälzt, deren Schaumkrone in phosphoreszierendem Weiß glitzert. Und Baz weiß, die Welle wird das Barrio überfluten und den ganzen Schmutz und Unrat in den Ozean schwemmen, und auch sie selbst wird davon mit fortgerissen werden. Aber sie hat die Reling so fest umklammert, dass ihr die Hände wehtun, denn vielleicht hebt die Welle das alte Boot ja einfach aus dem Schlamm, und dann geht es Baz wie Noah, nur ohne Familie und ohne Tiere. Sie wacht immer auf, bevor die Welle das Boot erreicht, und dann wüsste sie zu gerne, was als Nächstes passiert wäre.
In dieser Nacht dauert es lange, bis der Schlaf kommt, und als sie dann schließlich doch schläft, hat sie keine Träume, an die sie sich später erinnern kann. Bis dahin aber liegt sie wach in der Dunkelheit, denkt an den Berg und hat das ungute Gefühl, dass jemand sie beobachtet, ein Gefühl wie ein bösartiges Jucken mitten im Rücken. Sie weiß, es ist albern, denn da, wo sie sich jetzt aufhält, kann sie keiner sehen, es sei denn, er wäre so was wie ein Magier, der am Ufer steht und durch die Wände des Wracks hindurchschauen kann, aber solche Magier gibt es nicht. Baz denkt praktisch, und praktisch denken ist das, was man fürs Überleben braucht; spinnerte Fantastereien interessieren sie nicht.
Als sie wieder aufwacht, fällt schmutzig graues Licht durch die Luke. Es riecht nach Rost und Schlamm, und man kann die frühmorgendliche Stadt hören, wie sie leise vor sich hin murmelt. Baz klettert aufs Deck. In weniger als einer Stunde, sobald die Sonne ganz aufgegangen ist, wird das Boot sich aufheizen wie ein Ofen und das Eisendeck sich durch ihre Schuhe brennen, aber jetzt ist es noch schön. Früh am Morgen gibt es immer noch eine leichte Brise, sie trägt die Geräusche der Stadt zu ihr und sogar einen ganz schwachen Salzgeruch vom weit entfernten Meer.
Die andere Seite des Flusses ist fremdes Gebiet für Baz. Rauch ist dort zu sehen und Häuser, aber sie sind weit weg, und in noch größerer Ferne erstreckt sich eine nebelverhangene Hügelkette, und dahinter schließlich sind die Berge.
Unwillkürlich muss sie an Paquetito denken, aber wie an jemanden, zu dem man keinen Kontakt mehr hat. Raoul hat sein Verschwinden wirklich zu schaffen gemacht, das konnte man sehen, aber Demi hat ihn, nach seinem anfänglichen halbherzigen Protest, bestimmt schon völlig vergessen. Sie weiß, dass es vernünftig wäre, so zu sein wie Demi und einfach zu vergessen. Sie verdrängt Paquetito aus ihren Gedanken und wendet sich dem neuen Tag zu.
Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel, scheint ihr genau in die Augen, sodass sie das jenseitige Ufer nicht mehr erkennen kann. Sie wendet sich ab. Es wird Zeit, zurückzugehen und einen weiteren Arbeitstag in Angriff zu nehmen. Sie vollführt ihren Rutschsprint durch den Schlamm, bewegt sich im Zickzack aufs Ufer zu, und obwohl ihr unterwegs einige stumme Gestalten begegnen, die schon zur Arbeit trotten, ist noch niemand auf, als sie in der Bude eintrifft. Sie lässt die Glocke nicht klingeln, um diese Zeit will sie niemanden aufschrecken.
Sie kocht Kaffee und bringt eine Tasse zu Fay, die ein abgetrenntes Eckzimmer in der ansonsten aus einem offenen, großen Raum bestehenden Unterkunft für sich hat. Ihre Haare liegen wild zerzaust auf dem Kissen und umrahmen ihren Kopf wie ein unordentlicher Heiligenschein, allerdings nicht goldfarben wie bei den guten Engeln und Heiligen, sondern feuerrot. Ihr Gesicht ist blass, die Augen offen, die Lippen fest zusammengepresst, als hätte sie Schmerzen. Baz fragt sich, ob sie krank wird, aber Fay klagt nie über Unwohlsein, und ihr Gesicht entspannt sich, als Baz mit dem Morgenkaffee in ihr Zimmer kommt. Baz geht gleich wieder zurück und packt Tomaten, Käse und das Brot von gestern auf den Tisch.
Das ist tägliche Routine. Die Jungen werden langsam wach, gähnen, kratzen und strecken sich. Dann kommt Fay herein. Sie hat bereits beschlossen, wer heute welche Arbeit machen soll. Manchmal behält sie die Jüngeren bei sich, um ihnen noch das eine oder andere beizubringen, doch in der Regel teilt sie die Jungen in Zweiergruppen auf. Es ist in jedem Fall sicherer, sagt sie, paarweise zu arbeiten, weil dann der eine immer auf den anderen aufpassen kann, so wie Baz und Demi es tun. Baz weiß aber, dass sie auf diese Weise auch immer zwei Tagesberichte erhält, die sie miteinander vergleichen kann – so kriegt sie es schnell mit, wenn ihr etwas verheimlicht werden soll. Fay kann in den Jungen
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