Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
vorbei. Wenn ich das mache, dann bin ich
tot, tot, tot!
Ein weiterer Tag und ein Teil der Nacht waren vergangen, ohne
daß Mignureal noch etwas gesehen hätte. Hanse hatte
sie zu ihren Worten befragt, die in seinen Augen Schwachsinn waren,
aber sie konnte ihm nicht helfen. Wie gewöhnlich konnte sie sich
nicht an das erinnern, was sie ihm gesagt hatte, ja, sie wußte
nicht einmal, daß sie überhaupt etwas gesagt hatte. Nun
hatten er und die Katzen ihre Vorbereitungen getroffen und schickten
sich an zu gehen, und noch immer hatte Mignureal Shurinas Warnungen
und ihren eigenen Worten nichts hinzuzufügen. Ihre Unruhe und
ihre Sorge um ihn waren offensichtlich, aber sie sah nichts
Neues, hatte keine weitere Vision. Das trug nur dazu bei, daß
er ihre Nervosität über das Wagnis in dieser Nacht
teilte.
An der Tür fielen sie sich in die Arme. Er konnte ihre
Fingernägel durch seine schwarzen Sachen hindurch
fühlen.
»Mittlerweile wird Tip unten mit dem Pferd warten«,
erinnerte er sie. »Da ich die Stadt schon zweimal durch das
Nordtor verlassen habe und sich beim ersten Mal all diese…
Ereignisse bei Corstic abgespielt haben, könnten die Wachen
mißtrauisch sein. Deshalb werde ich zum Südtor
hinausreiten, durch das wir nach Firaqa gekommen sind. Ich werde
einmal um Firaqa herum und erst dann nach Stadthügel
hinaufreiten.«
»Ich weiß, Liebling«, flüsterte sie.
Aye, er wußte, daß sie es wußte. Er hatte es ihr
dreimal erzählt. Er hatte es getan, weil er immer noch hoffte,
daß sie eine Vision haben würde, und er wollte nicht
riskieren, daß sie ihm dann in der falschen Richtung
hinterherzurennen versuchte! Was sie ihm gesagt hatte, war der reine
Wahnsinn. Bestimmt hatte ihre S’danzogabe ihr einen Streich
gespielt!
Aber jetzt wurde es Zeit, und sie hatte ihm nichts zu sagen. Er
drückte sie fest, trat einen Schritt zurück und blickte sie
eine Zeitlang an. Dann wirbelte er herum und lief zur Treppe. Die
Katzen folgten ihm auf dem Fuß. Als er einen kurzen Blick
zurück warf, wirkte Mignureal in der Tür ganz klein.
Nachtschatten stieg die Treppe hinunter, von dem Tapp-Tapp-Tapp der
Katzenpfoten auf Treppenstufen begleitet. Beide Vorderpfoten, Pause,
dann beide Hinterpfoten und Vorderpfoten, Pause, und…
Tip wartete schon mit dem Pferd, das sichtlich aufgeregt war,
obwohl diese nächtlichen Ausflüge den Hügel hinauf
fast schon zur Routine in seinem Leben geworden waren. Der Junge ging
ins Haus, um vor dem Treppenhaus zu warten. Er würde sich nicht
langweilen. Nichts langweilte Tip, dazu besaß er nicht genug
Verstand. Hanse bestieg das Pferd, der Mantel verbarg seine schwarze
Kleidung. Die Katzen gesellten sich zu ihm. Als sie ihre Plätze
eingenommen hatten, machte er sich auf den Weg zum Südtor. Er
hielt ein gemäßigtes Tempo ein, indem er die Zügel,
an denen das alte Eisenmaul zerrte, kurz hielt. Es lag nicht nur
daran, daß das Tempo den gesetzlichen Vorschriften entsprach,
heute nacht wollte er sichergehen, daß Mignureal genug Zeit
hatte, um ihn einzuholen.
Den ganzen Weg zum Tor wartete er darauf, ihre Stimme zu
hören.
Er hörte sie nicht.
Und dann war er am Tor, warf einen kurzen Blick zurück, und
eine schläfrig wirkende Wache winkte ihm mit einer schlaffen
Hand zu und forderte ihn auf, vorsichtig zu sein.
O sicher, dachte Nachtschatten. Sei vorsichtig.
Umklammere einfach das Medaillon – und marschiere mit
geschlossenen Augen durch die Vordertür! Aber sicher
doch!
Er ritt in die Nacht hinaus. Während des ganzen Weges um
Firaqas Ostseite herum wartete er auf Mignureal, obwohl er tief im
Inneren wußte, daß sie nicht kommen würde. Nachdem
er Firaqa fast ganz umrundet hatte, erkletterte der große
Grauschimmel einmal mehr Stadthügel.
Sie hat es gesagt, und das war’s, redete sich
Nachtschatten zu. Soll ich jetzt also damit aufhören, ihre
Warnungen und Ratschläge zu befolgen, die schon immer
völlig unglaubwürdig geklungen haben, oder sollte ich statt
dessen vernünftig sein?
Also, Hanse?
Er wußte es nicht. Er konnte sich diese Frage selbst nicht
beantworten. Das alte Eisenmaul näherte sich Corstics Mauer, und
sein Reiter durfte es nicht wagen, vom Sattel aus auf die Mauerkrone
oder einen Ast zu steigen. Genausowenig durfte er es wagen, sich auf
den Sattel zu stellen und zu versuchen, über die Mauer
hinwegzuspringen. Welche Wahl blieb ihm? Welche Möglichkeiten
hatte er?
Und dort war auch schon Corstics Mauer mit all ihren Bäumen
auf der anderen Seite.
Ich
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