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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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lassen. Ich war ständig beschäftigt.
    Was war mit mir passiert ? fragte ich mich. Morries hohe, rauchige Stimme holte mich zurück in meine Jahre an der Universität, als ich dachte, daß reiche Leute böse wären, daß ein
Hemd und ein Schlips Gefängniskleidung seien. Als ich der Meinung war, daß ein Leben ohne die Freiheit, aufzustehen und fortzugehen – unter dir das Motorrad, im Gesicht die kühle Brise, vor dir die Straßen von Paris oder die Berge von Tibet – in keiner Hinsicht ein gutes Leben sei. Was war mit mir passiert ?
    Die achtziger Jahre waren passiert. Und die neunziger. Tod und Krankheit, dick werden und kahl werden – all das war passiert. Ich hatte viele Träume für einen höheren Gehaltsscheck eingetauscht, und ich war mir dessen nicht einmal bewußt gewesen.
    Und plötzlich saß Morrie vor mir und redete mit der Begeisterung unserer Collegejahre, als hätte ich bloß ein paar Jahre Urlaub gemacht.
    »Hast du denn jemanden fürs Herz gefunden?« fragte er.
    »Tust du was für deine Gemeinde?«
    »Bist du mit dir selbst im Frieden?«
    »Versuchst du, so menschlich zu sein, wie es dir möglich ist?«
    Ich wand mich hin und her, wollte ihm beweisen, daß ich mich mit solchen Fragen intensiv befaßt hatte. Was war mit mir passiert ? Ich hatte mir einst geschworen, daß ich niemals für Geld arbeiten würde, daß ich mich dem Peace Corps anschließen und an schönen, inspirierenden Orten leben würde.
    Statt dessen war ich jetzt seit zehn Jahren in Detroit, immer am selben Arbeitsplatz, immer bei derselben Bank,
beim selben Friseur. Ich war siebenunddreißig, tüchtiger als damals im College, gefesselt an Computer, Modems und Handys. Ich schrieb Artikel über reiche Sportler, denen Menschen wie ich gleichgültig waren. Ich war in den Augen meiner Umgebung nicht länger ein junger Mann, und ich lief auch nicht mehr in grauen Sweatshirts und mit einer unangezündeten Zigarette im Mund herum. Ich diskutierte nicht mehr über den Sinn des Lebens, während ich Eiersalatsandwich mampfte.
    Meine Tage waren ausgefüllt, und dennoch fühlte ich mich die meiste Zeit unzufrieden.
    Was war mit mir passiert ?
    »Coach«, sagte ich plötzlich, mich an die alte Anrede erinnernd.
    Morrie strahlte. »Ja, genau. Das bin ich. Ich bin immer noch dein Coach.«
    Er lachte und begann wieder zu essen, eine Mahlzeit, mit der er vor vierzig Minuten begonnen hatte. Ich sah ihm jetzt aufmerksam zu; seine Hände bewegten sich vorsichtig, als sei er dabei zu lernen, wie man sie benutzte. Er schaffte es nicht, ein Messer fest herunterzudrücken. Seine Finger zitterten. Jeder Bissen war ein Kampf; er kaute das Essen sehr sorgfältig, bevor er es schluckte, und manchmal rutschte es ihm an den Mundwinkeln wieder heraus, so daß er das, was er in der Hand hielt, wieder zurücklegen mußte, um sein Gesicht mit der Serviette abzutupfen. Die Haut von seinen Handgelenken bis zu seinen Fingerknöcheln war mit Altersflecken besprenkelt,
und sie war schlaff, wie Haut, die von einem Hühnerknochen in der Suppe herunterhängt.
    Eine Weile lang saßen wir nur da und aßen, ein kranker alter Mann, ein gesunder junger Mann, die beide die Stille des Raumes in sich aufnahmen. Ich würde sagen, es war ein verlegenes Schweigen, aber ich schien der einzige zu sein, der verlegen war.
    »Sterben«, sagte Morrie plötzlich, »ist nur eine Sache, die Anlaß gibt, traurig zu sein, Mitch. Unglücklich zu leben ist eine andere. So viele Menschen, die mich besuchen kommen, sind unglücklich.«
    »Warum?«
    »Nun, zum einen ist die Kultur, in der wir leben, nicht dafür geeignet, daß sich die Menschen mit sich selbst wohl fühlen. Wir lehren die falschen Dinge. Und man muß stark genug sein, um zu sagen: Wenn die Kultur nicht funktioniert, dann paß dich ihr nicht an. Schaff dir deine eigene. Die meisten Menschen können das nicht. Sie sind unglücklicher als ich – selbst in meiner augenblicklichen Verfassung.
    Mag sein, daß ich sterbe, aber ich bin umgeben von liebevollen, fürsorglichen Menschen. Wie viele Leute können das von sich behaupten?«
    Ich war erstaunt, daß er keinerlei Selbstmitleid empfand. Morrie, der nicht mehr tanzen, schwimmen, baden oder laufen konnte, Morrie, der niemandem mehr einladend die Tür öffnen konnte, der sich nach einer Dusche nicht mehr selbst abtrocknen und sich noch nicht einmal in seinem Bett umdrehen
konnte. Wie war es möglich, daß er die Dinge so gelassen hinnahm? Ich beobachtete ihn, wie er mit seiner

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