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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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Ringkampf«, sage ich.
    »Ein Ringkampf.« Er lacht. »Ja, so könntest du das Leben beschreiben.«
    »Und welche Seite gewinnt?« frage ich.
    »Welche Seite gewinnt?«
    Er lächelt mich an – die in Fältchen eingebetteten Augen, die schiefen Zähne.
    »Die Liebe gewinnt. Die Liebe gewinnt immer.«



Die Verabredung
    Ein paar Wochen später flog ich nach London. Ich schrieb über Wimbledon, das wichtigste Tennisturnier der Welt und eines der wenigen Sportereignisse, die ich besuche, wo die Menge die Sportler niemals ausbuht und wo niemand betrunken auf dem Parkplatz liegt. England war warm und wolkenverhangen, und jeden Morgen ging ich die von Bäumen gesäumte Straße in der Nähe des Tennisplatzes hinunter, vorbei an Teenagern, die nach übriggebliebenen Eintrittskarten Schlange standen, und Straßenverkäufern, die Erdbeeren mit Sahne verkauften. Vor dem Eingangstor war ein Zeitungsstand, an dem ein halbes Dutzend bunter britischer Boulevardblätter zum Verkauf angeboten wurden. Auf der Titelseite prangten vor allem Bilder von barbusigen Frauen und Paparazzi-Fotos der königlichen Familie. Daneben fand man Sportereignisse, Lotterielose und ein Minimum an aktuellen Nachrichten. Die Schlagzeile des Tages stand immer auf einer kleinen Tafel, die gegen den neuesten Stapel Zeitungen lehnte. Gewöhnlich lautete sie: DIANA STREITET
SICH MIT CHARLES! oder GAZZA ZUM TEAM: GEBT MIR MILLIONEN!
    Die Leute nahmen diese Boulevardblätter im Vorbeigehen mit und verschlangen den Klatsch, und auf meinen früheren Reisen nach England hatte ich dasselbe getan. Aber jetzt mußte ich aus irgendeinem Grunde immer an Morrie denken, wenn ich etwas Dummes oder Geistloses las. Vor meinem geistigen Auge sah ich ihn dort, in dem Haus mit dem japanischen Ahorn und den Hartholzböden, wie er beim Ausatmen zählte, wie er jeden Augenblick, der ihm verblieb, mit den Menschen zusammen war, die er liebte. Während ich mich so viele Stunden mit Dingen beschäftigte, die mir persönlich absolut nichts bedeuteten: Filmstars, Supermodels, und was hat Prinzessin Di oder Madonna oder John F. Kennedy jr. zuletzt gesagt? Auf seltsame Weise beneidete ich Morrie um die Qualität seiner Zeit, während ich zugleich darüber trauerte, daß sie immer knapper wurde. Warum beschäftigten wir uns mit all jenen Ablenkungen? Zu Hause war der Prozeß gegen O. J. Simpson in vollem Gange, und es gab Leute, die ihre gesamte Mittagspause darauf verwandten, sich den Prozeß anzuschauen, und dann den Rest auf Video aufnahmen, damit sie sich abends noch mehr davon anschauen konnten. Sie kannten O. J. Simpson nicht. Sie kannten niemanden, der mit dem Fall zu tun hatte. Und doch gaben sie Tage und Wochen ihres Lebens dafür hin, süchtig nach dem Drama eines anderen Menschen.
    Ich erinnerte mich an das, was Morrie sagte, als ich ihn besuchte: »Die Kultur, in der wir leben, ist nicht dafür geeignet, daß die Menschen sich mit sich selbst wohl fühlen. Und man muß stark genung sein, um zu sagen: Wenn die Kultur nicht funktioniert, dann paß dich ihr nicht an. Schaff dir deine eigene. «
    Morrie hatte, ganz im Sinne dieser Worte, seine eigene Kultur geschaffen – lange, bevor er krank wurde. Diskussionsgruppen, Spaziergänge mit Freunden,Tanzen nach seiner Musik in der Harvard Square Church . Er rief ein Projekt namens Greenhouse ins Leben, wo Arme sich psychologisch betreuen lassen konnten. Er las Bücher, um neue Ideen für seine Kurse zu bekommen, besuchte Kollegen und wurde von ihnen besucht, hielt Kontakt mit alten Studenten, schrieb Briefe an entfernte Freunde. Er nahm sich mehr Zeit, um zu essen und sich die Natur anzuschauen, und verschwendete keine Minute damit, sich Fernseh-Sitcoms oder den »Film der Woche« anzusehen. Er hatte sich einen Kokon menschlicher Aktivitäten geschaffen – Gespräche, Interaktion, Zuneigung  –, und sie füllten sein Leben wie eine überfließende Suppenschüssel.
    Auch ich hatte meine eigene Kultur geschaffen. Ich hatte in England vier oder fünf Jobs bei den Medien, jonglierte mit ihnen wie ein Clown. Ich verbrachte acht Stunden am Tag an einem Computer, schickte meine Geschichten per E-Mail zurück in die Staaten. Zudem machte ich TV-Reportagen, wozu ich mit einem Team durch verschiedene Stadtteile Londons reiste. Ich gab auch jeden Morgen und jeden Abend per Telefon Radioberichte durch. Dies war keine ungewöhnlich
hohe Arbeitsbelastung. Im Laufe der Jahre war Arbeit zu meinem ständigen Kameraden geworden und hatte alles

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