Dies Herz, das dir gehoert
besetzt. Alles Rückwanderer – es spricht sich allmählich herum, dass daheim ein anderer Wind weht, dass dort jeder Arbeit findet und nicht die Sorte Arbeit, die es hier gibt ...«
»So«, sagt Johannes Wiebe. »Und Sie meinen wirklich, es sieht anders aus – daheim?«
»Ich meine? Ich weiß – ich war erst vor zwei Monaten drüben, auf Urlaub. Seit wann waren Sie nicht daheim?«
»Es ist schon eine ganze Weile her.«
»Dann werden Sie sich aber wundern! Da werden Sie aber die Augen aufmachen! – Oh, da werden Sie die Idioten hier vor der Tür schon besser verstehen. Begreifen Sie doch, Mann, nach fünfzehn Jahren Erniedrigung ist es wieder ein Glück, ein Deutscher zu sein!«
»Ja, wirklich?«, antwortet Johannes Wiebe. »Nein, das freut mich aber ...«
Doch es rührt ihn nicht sehr an. Noch nicht. Noch ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt: was werde ich anfangen? Was kann ich Mutter sagen? Wie werde ich mich mit Thomas stellen?
Das sind die Fragen, die ihn beschäftigen, und wenn er all diese Rückwanderer, die eine neu aufgehende Sonne in die Heimat zieht, von ihren Erwartungen, Hoffnungen, Plänen reden hört, so berührt ihn das kaum. Er hat seine eigenen Sorgen, und zudem geht es ihm nicht gut.
Der Druck in seinem Schädel wird immer stärker. Manchmal, wenn er auf Deck steht, ist ihm beinahe, als sei das Schiff unter ihm fortgefahren, und er schwebe frei und allein in der Luft, zwischen Wind und Wellen ...
›Ich bin krank‹, sagt er sich dann. ›Ich muss krank sein.Aber das darf ich nicht sein. Auch noch krank nach Hause kommen – nein, das macht die Niederlage erst ganz schlimm! Im Bett liegen – und Thomas sieht auf mich herunter und sagt: Na, du Unglückshuhn, etwas anderes habe ich nie erwartet ...‹
Er geht mit allen Kräften, die ihm geblieben sind, gegen diese Krankheit an, aber sein Gesicht wird hohl dabei, seine Augen bekommen einen seltsamen Glanz.
An einem der letzten Überfahrtstage klopft ihm der Schiffsarzt auf die Schulter: »Nun, was ist das mit Ihnen? Sie sehen mir aus, als ob Sie ein bisschen Fieber hätten!«
»Ich? Aber kein Gedanke daran! Ich fühle mich ganz wohl«, lügt er.
»Und sind in diesem Augenblick schneeweiß geworden. Nein, kommen Sie lieber einmal mit mir.«
Er will sich wehren, er will nicht krank sein, aber der Doktor ist erbarmungslos.
»So, stecken Sie erst einmal das Thermometer in die Achselhöhle. – Und nun erzählen Sie mir, seit wann Sie sich so schlecht fühlen.«
»Aber ich sage Ihnen, Herr Doktor ...«
»Reden Sie doch nicht! Natürlich, ich verstehe das: Sie wollen nicht krank daheim ankommen. Eine Mutter oder eine Braut steht am Kai, wie?«
Der Arzt lächelt behaglich, stolz auf seinen Scharfblick.
»Nun, ich werde sehen, was sich tun lässt. – Dacht ich’s doch: 39 Grad Fieber, und damit laufen Sie schon tagelang herum, ich habe Sie doch beobachtet. Eine niedliche Grippe! Also, legen Sie sich, bis wir im Hafen sind, in Ihre Koje. Schlucken Sie gleich jetzt diese zwei Tabletten – ich sehe dann schon nach Ihnen. Dass Sie wenigstens im Hafen auf Ihren zwei Beinen stehen können. Nachher zu Hauswerden Sie sich freilich gleich wieder hinlegen müssen. Haben Sie weit nach Haus?«
»Nein, nein, gleich in Hamburg!«, lügt er wieder.
Er legt sich gehorsam ins Bett. Aber durch die Fieberträume geht eine neue Angst, die ihm der gute, ahnungslose Schiffsarzt in den Kopf gesetzt hat: seine Mutter könnte am Kai stehen! Und da sieht sie ihn dann vom Schiff kommen, fiebrig und verfallen: ein richtiger verlorener Sohn, der um Gnade, der um ein Bett fleht!
Nur das nicht! Hundertmal sagt er sich in ruhigen Stunden, dass seine Mutter unmöglich bei allen Schiffen auf dem Kai warten kann. Wenn sie ihn überhaupt erwartet, steht sie bei den großen Dampfern, die erster Klasse fuhren. Sie hat ja noch keine Ahnung, wie verändert der Sohn heimkehrt! Und wenn es möglich ist, soll sie es nie erfahren. Er hat Zeit, er hat Geld, er kann sich erst erholen – sie hat so lange gewartet, es kann nun nicht mehr auf ein paar Tage ankommen! So geht er nicht zu ihr zurück.
Und dann kehrt das Fieber wieder zurück, und die raschere Blutwelle, die sein Hirn durchflutet, trägt den Dampfer in den Hafen. Er hat sich hinter dem Schornstein versteckt, sein Köfferchen in der Hand, späht er nach dem Kai hinüber. Und richtig: da steht die Mutter, und kaum ist die Landungsbrücke hinübergeschoben, so kommt die Mutter schon an Bord! Ein
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