Dies Herz, das dir gehoert
wat oben is kommt nach unten. Wat, hat jestimmt, junger Herr, hat et jestimmt oder nich? Jetzt sind wir oben, und die drüben jehn stempeln – bloß det se nicht mal stempeln jehn dürfen! Und nun sind Se wieder da!«
»Ja, nun bin ich wieder da, Lobrian!«
Ja, so etwas ist Heimkehr, Johannes ist ganz überwältigt. Er hätte nie gedacht, dass der alte Mann so warm für ihn empfinden könnte. So warm hatte in all der Zeit draußen kein Mensch mit ihm gesprochen! Er hatte dem Lobrian doch nie etwas besonders Gutes erwiesen, war nicht herzlicher zu ihm gewesen als zu allen anderen. Er war gewissermaßen ein selbstverständliches Erbstück vom Vater her, immer herummümmelnd, immer über die Unordnung der Arbeiter schimpfend, die Kisten auf dem Hof stehenließen, über die er dann in der Dunkelheit stolperte – und nun so!
»Freuen Sie sich denn wirklich so, Lobrian? Es ist ja gut, ja, nun bin ich wieder zu Haus. Und Bella – ja, nun lass esaber gut sein. Du machst mich ja ganz dreckig! Und wie geht es jetzt? Ihr stellt Arbeiter ein?«
»Arbeit jenug, vill zu ville – aber ick weeß nich, nee, in de erste Stunde will ick Se nich vermiesen, junger Herr! Sie wern schon selber hörn!«
»Immer die bösen Löhne, was, Lobrian?«
»Ach, mit die Löhne, det jeht ja jetzt, det is ja alles festjelecht, da kann er nich bei meckern. Aber so, was sein Ton is – und überhaupt ...«
»Wessen Ton?«
»Na, Sie wissen doch junger Herr, Sie müssen doch als erster Bescheid wissen. Se sagen doch alle, er hat Ihnen ooch rausjegrault ...«
»Mein Bruder?«
»Nee, junger Herr, det mach ick nich, Namen nenn ick nich. Ick bin zu alt, mir de Fresse zu verbrennen. Aber ick sare imma: Lasst ihn man so weiter toben, er wird schon sehen, wie lang er’s treibt. Heut is nich mehr einst, und een Arbeeter is keen Schuhwisch mehr ...«
Es war dem Johannes Wiebe gar nicht lieb, dass die ersten Nachrichten aus der Heimat gerade den ungeliebten Bruder betrafen und dass sie nicht gut waren. Er wollte nichts mehr davon hören, diese Klagen begegneten sich zu gut mit Klagen in seiner eigenen Brust.
Er fragte: »Und meine Mutter – sie ist doch zu Haus?«
»Weeß ick nich, junger Herr«, antwortete Lobrian ein wenig gekränkt, dass seine Beschwerden so wenig Widerhall fanden. »Wat in der Villa passiert, davon hab ick keene Ahnung. Ich red doch nie mit ’nem Menschen ein Wort. Aber ick hab so wat jehört, die Frau Mutter is wechjereist ...«
»Na, dann werde ich selbst nachsehen müssen. Gute Nacht, Lobrian, morgen sprechen wir uns wieder.«
Damit geht Johannes Wiebe rasch über die Fabrikhöfe, klinkt in der Mauer, die den herrschaftlichen Garten von dem Fabrikgrundstück trennt, das Pförtchen auf und geht nun rasch und möglichst vorsichtig über den leise knirschenden Kies der Villa zu, die dunkel und massig zwischen Bäumen und Büschen vor ihm aufsteigt.
Er ärgert sich, dass die gute Stimmung, die ihn am Fabriktor überkam, schon wieder verflogen ist. Lobrian ist eine gute Seele, gewiss, aber das mit seinem Bruder hätte er ihm auch nicht gleich versetzen müssen. Und nun soll die Mutter nicht einmal zu Haus sein, so dass er ganz allein von gerade diesem Bruder bewillkommt würde, ein lächerliches Köfferchen in der Hand, in einem Anzug, der jetzt bestimmt die Spuren von Bellas stürmischer Begrüßung trug.
Er steht vor der Villa und sieht zögernd zu ihr auf. Kein Licht brennt, ja, es ist nun schon fast zwei Uhr geworden, alle schlafen, wer nun eben im Haus sein mag. Er wird klingeln müssen. Der Gedanke, dass ihm vielleicht irgendein ganz unbekanntes Hausmädchen öffnen wird, dem er erst auseinandersetzen muss, dass er der Sohn des Hauses ist, die ihm vielleicht nicht einmal Glauben schenkt, sondern vor der Tür der Villa stehen lässt, bis sie den Bruder geweckt hat – das macht ihn so unschlüssig! Er steht auf der Auffahrt, hat die Hand zur Klingel erhoben und wagt doch nicht zu klingeln.
Da zittert ein Lichtschein über diese Hand, über die Klingel, über die Hausfassade. Das Summen eines Motors wird vernehmbar – rasch tritt Johannes Wiebe in den dunkelsten Schatten hinter einen der Oleanderkübel. Vielleicht ist es die Mutter, die von ihrer Reise zurückkehrt! Das wäre schön!
Aber es ist der Bruder, der aus dem Wagen steigt. Ganz nahe sieht Johannes im Halbdunkeln die vertraute Gestalt,die ihm noch fetter geworden scheint. Der Bruder klappert mit Geld, wortlos, der Taxichauffeur sagt auch nichts, sondern
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