Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Ausländerverkehr gewöhnt – so kann Johannes Wiebe ungestört schlafen, bis ihn ein freundlicher Mitfahrer anstößt: »Wir sind gleich in Berlin, mein Herr!«
    »In Berlin!«
    Er springt auf, nimmt sein Köfferchen, läuft den Gang entlang, ganz nach vorn. Noch immer fährt der Zug, er kann esnicht abwarten. Jetzt, aus dem tiefen Traum, aus den weichen Genesungstagen heraus, gibt es nur noch einen Gedanken für ihn: nach Haus! Alle Überlegungen, alle Grübeleien sind zerstoben. Der Heimkehrer will nach Haus!
    Als Erster drängt er sich durch die Schranken – jetzt beunruhigt ihn kein Gedanke, dass die Mutter ihn hier erwarten könnte. Als erster erwischt er eine Taxe: »Nach Berlin-Charlottenburg – Meisenstraße. Halten Sie hinten bei der Metallwarenfabrik Wiebe!«
    Was ist es, das ihn abhält, direkt bei der mütterlichen Villa vorfahren zu lassen? Ist es die späte Stunde? Will er die Mutter nicht aus dem ersten Schlaf stören? Oder ist doch noch ein Rest von Vorsicht, von Angst in ihm sitzengeblieben?
    Er weiß es nicht, er hat es so hingesagt, ohne viel nachzudenken.
    Und nun steht er an dem Hintertürchen der Fabrik. Natürlich hat er keinen Schlüssel, natürlich weiß er, dass jetzt, kurz vor ein Uhr nachts, kein Klingeln hilft. Aber er kennt ja die Gewohnheiten der Fabrik: alle zehn Minuten kommt der Wächter Lobrian mit der Hündin Bella an diesem Türchen vorüber, rüttelt an ihm, ob es noch verschlossen ist, und geht weiter.
    Er steht und wartet und lauscht. Im Schein der Gaslaterne liegt vor ihm die lange, altvertraute Mauer mit den Glassplittern, das Eisentor – es hat sich nichts verändert, seit er das letzte Mal hier gewesen ist, soviel sich in Deutschland unterdes auch verändert haben soll.
    Plötzlich kommt ihm ein Gedanke: Es ist doch alles genauso wie damals, an jenem grauen Novembermorgen, als die Monteure hier vor der Fabrik standen, die entlassenen, die arbeitslosen, dass es ihm nicht einmal aufgefallen ist, dass jenes Plakat noch immer an dem Eisentürchen klebt.
    Erst allmählich wird ihm klar, eine wie lange Zeit seit jenem Novembermorgen vergangen ist, dass unmöglich noch der gleiche Aushang an der Eisentür haften kann.
    Er tritt näher, er brennt ein Streichholz an, er liest: »Arbeiter – auch ungelernte, auch Frauen – stellt laufend ein: Eisenwarenfabrik Hermann Wiebe«.
    Etwas wie Rührung überkommt ihn: Es ist also doch anders geworden, es ist besser geworden! Während sich drüben im gelobten Land die Arbeiter vor den Fabriktoren um einen »Job« prügeln, laufen die Maschinen wieder in Vaters Werk! Und er ist ein Narr gewesen – er hat draußen bei Fremden um Arbeit gebettelt, während er im eigenen mit hätte schaffen können!
    Oh, was für ein Narr er gewesen ist! Aber er wird sich ändern! Er wird mitarbeiten, er wird nicht empfindlich gegen die spöttische Überlegenheit des Bruders sein, der eben doch der Tüchtigere, der Erfolgreichere ist! Denn er hat das Werk wieder in Gang gesetzt, während Johannes Wiebe nicht einmal sich selbst in Gang setzen konnte!
    Liebevoll streicht er über das Plakat, es ist doch gut, so heimzukommen!
    Und nun hört er den Schlürfeschritt des Wächters, ja, es ist noch immer der alte Schritt des alten Lobrian, der in viel zu großen Gummistiefeln über den Hof schlürft!
    »Lobrian«, ruft er halblaut, und sofort schlägt Bella wütend an, auch Bellas Bellen würde Johannes aus hundert bellenden Hunden heraushören.
    »Wer issn da?«, fragt Lobrian sofort entrüstet. »Hier kommt jetzt keiner rein!«
    »Lobrian – Johannes Wiebe! Der junge Herr!«
    Einen Augenblick ist tiefe Stille. Dann heult erst Bella auf, Johannes sieht sie förmlich sitzen, auf den Hinterkeulen,das Maul weit aufgerissen, wie sie den Mond anheult oder Glockenläuten, wie sie eben heult, wenn die Gefühle sie so überwältigen, dass sie nicht weiß, ob sie Freude oder Schmerz empfindet.
    Und dann ruft der alte Lobrian mit einem ganz ähnlich heulenden Ton in der Stimme: »Gott, der junge Herr! Ick komme ja schon, ick such ja schon den Schlüssel, junger Herr! – Bella, hab dir nich so dusslig, reiß mir nich um! Es ist der junge Herr, ja doch, du elende Töle – mach doch nicht ganz Charlottenburg wach!«
    Und nun, da der junge Wiebe eingetreten ist: »Junger Herr, nee, det ick det noch erlebe! Det Se zu meene Tür rinkommen! So ’ne Ehre! Grade, wo Se rausgegangen sind! Wissen Se noch? Damals war Ihnen een bissken plümerant, und ick hab Sie noch jesagt,

Weitere Kostenlose Bücher