Dieser eine Moment (German Edition)
Bierflasche. Ihre Finger berühren sich, sie lächelt.
»Bist ein komischer Typ«, sagt sie. Und dann: »Ich mag komische Typen.«
Herbert Grönemeyer singt: »Leb in meiner Welt, sie hat Berge, Seen und Strand. Ich hab Regen für uns bestellt und heißen Wüstensand ...«
»Lust zu tanzen?«, fragt Laura.
»Weiß nicht.«
»Sagst du manchmal auch noch was anderes außer ›weiß nicht‹?«
Er muss lachen.
»Wow«, sagt sie.
»Was?«
»Du hast gelacht.«
Sie zieht ihn mit sich auf die Tanzfläche. Ihre Hände legen sich auf seine Hüften, sie schmiegt sich an ihn. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlt er sich nicht allein.
»Widder also«, sagt sie.
»... und bevor du gehst«, singt Grönemeyer, »sag nur, es ist schon spät.«
Laura hat ihn ausgesucht damals auf dieser Party, nicht er sie. Er betrachtet sie reglos, er hat Angst, sie zu berühren. Als könne sie sich unter seinen Händen in Luft auflösen.
Unvermittelt schlägt sie die Augen auf, schaut ihn an, lächelt.
»Wie spät ist es?«
»Kurz nach vier.«
Sein Mund ist trocken. Sie streckt eine Hand nach ihm aus, greift in sein Haar.
»Ich rieche nach Schlaf«, sagt sie.
»Du riechst wunderbar«, sagt er und küsst sie.
Er schaut ihr beim Anziehen zu. Die Art, wie sie den Bund ihres Slips mit den Daumen richtet, den Knopf ihrer Jeans schließt, ihr T-Shirt überstreift. Er schaut ihr nach, wie sie auf ihrem Fahrrad die Straße hinunterfährt, sich noch einmal zu ihm umdreht, die braunen Locken in ihrem Gesicht. Dann ist er allein.
Er versucht zu schlafen. Er schafft es nicht. Kriechende Zeit, Windstille, mitten im Sturm. Eine haushohe Welle, die auf ihn zurollt. Sein Glück, ein Schiff ohne Anker ...
Es ist noch dunkel, als er die Stelle erreicht. Die Kreidestriche der Polizei auf dem Asphalt, bleich gewaschen vom Regen. Das Gummi der Bremsspuren. Der Baum, wo vor Stunden die Fahrt eines Mannes und seiner Begleiterin jäh endete. Die Reifen eines Abschleppwagens haben den Rasen der Böschung durchpflügt. Eine Flüssigkeit, vielleicht Öl, hat das Grün verfärbt. Schwarzes Gras. Auf dem Boden vor dem Baum Schleifspuren. Er stellt sich vor, wie sie das Wrack mit einer Seilwinde auf die Ladefläche des Abschleppwagens gezogen haben.
Der Baum steht, wie er immer stand. Die Rinde leicht aufgeschürft, mehr nicht. Jan lehnt sich mit der Stirn dagegen, fühlt die Kühle des Stamms und die eigene Machtlosigkeit. Er schlägt mit den Händen gegen die Rinde. Etwas in ihm schreit. Er versucht, an Laura zu denken. Seine Hände auf ihrem Bauch, sein Kopf in ihrer Halsbeuge. Es geht nicht. Das hier ist stärker. Am Horizont, zwischen den Schatten der Alleebäume, steigt die Morgenröte auf, schmal und zart.
4
Sie weiß nicht, wie spät es ist. Vor ein paar Stunden hat die Zeit aufgehört zu existieren. Alles hat aufgehört zu existieren. Sie liegt in einem Bett, das spürt sie, aber sie weiß nicht, was für ein Bett das ist. Sie streicht über die Decke. Der Bettbezug ist steif. Sie tastet nach dem Rand der Matratze. Ihre Finger fühlen kaltes Metall. Deshalb dieser Geruch, der Sauberkeit vortäuscht, steril und beängstigend.
Sie fühlt sich ausgeliefert, ihr Körper schmerzt. Sie versucht, den Hals zu drehen, aber sie schafft es nicht. Sie hat das Gefühl, gelähmt zu sein. Warum ist Martin nicht da?
Die Erleichterung, als sie spürt, wie ihre Fußknöchel einander berühren. Sie kann ihre Beine bewegen, ihre Füße. Wenigstens das.
Sie hält ihren Atem an, lauscht in die Stille. Von ferne Stimmen. Worte, die sie nicht versteht. Das Klappern von Geschirr, Schritte. Gummisohlen auf Linoleumboden, verschwitzte Fersen in Gesundheitssandalen.
Sie kann die Augen nicht öffnen. Etwas drückt auf ihre Lider. Noch bevor ihre Hände ihr Gesicht erreichen, weiß sie, was sie ertasten wird: Lagen aus Mull, ein feines Netz, mit Streifen aus Stoffpflastern festgeklebt an ihrer Stirn, ihren Wangen.
Was ist passiert?
Sie fährt sich mit der Zunge über ihre rissigen Lippen. Ihr Mund ist trocken. Sie versucht, sich zu erinnern. Martins Auto. Sie haben gescherzt und sich geküsst, als sie losfuhren. Sie wollten zu ihm.
»Ich hab ein Geschenk für dich«, hat er gesagt.
»Was denn?«, hat sie gefragt.
Er hat es nicht verraten.
Sie kennt ihn seit drei Wochen. Eine Strandparty. Eine Freundin von ihr hatte ihn mitgebracht. Sie sagte, er studiere Nautik in Flensburg.
»Martin«, stellt er sich vor und strahlt sie an. Mit dieser Sicherheit, die man nicht
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