Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
zunehmender Deutlichkeit für deren negative Auswirkungen. Wer also jetzt Verantwortung für die kleinsten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft trägt (oder jemanden kennt, für den dies zutrifft), der mache sich klar, dass eine Mattscheibe kein guter Babysitter ist – und schon gar kein guter Lehrer! Und er sollte entsprechend handeln.
7. Laptops im Kindergarten?
Kindern fällt das Lernen buchstäblich kinderleicht; sie lernen sehr schnell. Wer das nicht glaubt, der sollte einmal mit einem fünfjährigen Kind Memory spielen. Erwachsene lernen hingegen deutlich langsamer. Diese Abnahme der Lerngeschwindigkeit mit dem Erwachsenwerden (also zwischen dem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr) ist nicht das Resultat von Demenz, sondern das Ergebnis eines prinzipiell sinnvollen Anpassungsprozesses und damit völlig normal. Um dies zu verstehen, muss ich etwas ausholen.
Schnell versus genau
Egal was gelernt wird – laufen oder sprechen, sich richtig zu benehmen oder zu ernähren: Für das Gehirn bedeutet lernen sehr oft, einen zunächst unbekannten Wert aufgrund einzelner Erfahrungen (»Messungen«) abzuschätzen. Das Gehirn des Kleinkinds, das gerade laufen lernt, muss abschätzen, wie viele Impulse es zu den Muskeln in Rücken, Po und Hinterseite der Beine schicken muss, wenn sich der Oberkörper nach vorne neigt. Schickt es zu wenige Impulse, fällt es nach vorn, schickt es zu viele, fällt es nach hinten. Einem Roboter könnte man die richtige Zahl einprogrammieren. Aber das Baby wird nicht programmiert; es programmiert sich selbst! Es versucht aufzustehen, zieht sich am Sofa oder Stuhlbein hoch und steht – ganz wackelig. Bei zunehmender Vorneigung sendet sein Gehirn Impulse zu Muskeln im Rücken, Po und den Beinen, um der Vorneigung entgegenzuwirken. Und es misst die Zeit, die es oben bleibt. Ist diese länger als beim letzten Mal, lag die Zahl der ausgesendeten Impulse offensichtlich näher am richtigen Wert als beim letzten Mal und wird beibehalten. Ist sie kürzer, wird die Änderung vom letzten Mal verworfen und bei der nächsten Vorneigung eine andere Zahl von Impulsen auf den Weg geschickt.
Betrachten wir noch ein anderes Beispiel: richtige Ernährung. Sie sind jung, in eine fruchtbare Gegend hineingeboren, haben aber noch keine Ahnung, was man essen kann und was nicht. Irgendwo stoßen Sie nun auf rote Beeren, die Zucker und etwas Gift enthalten – was Sie nicht wissen. Nun ist es bei jedem Nahrungsmittel wichtig, zu wissen, wie viel man essen sollte, um einerseits satt und andererseits nicht vergiftet zu werden. So essen Sie beim ersten Mal fünf Beeren und sind sehr bald wieder hungrig. Beim nächsten Mal essen Sie vierzig Beeren, erleiden eine Vergiftung, und es geht Ihnen richtig schlecht. Beim dritten Mal sind Sie also wieder eher vorsichtig und essen sieben Beeren – sind daher jedoch bald wieder hungrig, fühlen sich aber ansonsten wohl. Beim vierten Mal werden Sie vielleicht dreißig Beeren essen und sich satt, aber auch ziemlich krank fühlen. Und so geht es weiter, bis Sie gelernt haben, fünfzehn Beeren zu essen, um (schon) satt und (noch) nicht vergiftet zu sein.
So verschieden das Laufenlernen und das Lernen des Sich-Ernährens auch sein mögen, im Prinzip geht es für das Gehirn um dieselbe Aufgabe: Es muss wahre allgemeine Werte (wie viele Impulse bei welcher Vorneigung zu welchem Muskel senden? Wie viele Beeren welcher Größe, Farbe und welchen Geschmacks essen?) anhand einzelner Erfahrungen abschätzen. Bei diesem Lernvorgang muss das Gehirn zwei entgegengesetzte Bedingungen erfüllen: Es muss sich dem wahren Wert zum einen rasch annähern, denn sonst ist es tot, bevor es fertig gelernt hat. Und es muss sich dem wahren Wert in kleinen Schritten nähern, denn mit großen Sprüngen hopst es immer nur um die Wahrheit herum, ohne je zu ihr zu gelangen. Hier gibt es ganz offensichtlich ein Problem: Lernen muss in großen Schritten (sonst ist man vorher tot) und in kleinen Schritten (sonst gelangt man nie zur Wahrheit) erfolgen. Dieses Problem tritt bei jeglichem Lernen auf und bei jeglichem Lerner, egal ob Plattwurm, Ratte, Affe oder Mensch! Und es gibt nur eine Lösung, die ich anhand eines Bildes verdeutlichen möchte.
Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einem Golfplatz und wollen den kleinen Ball mit möglichst wenigen Schlägen ins Loch bringen. Dann geht es Ihnen wie dem gerade beschriebenen Gehirn, das irgendetwas – völlig egal was – lernen will: Sie wollen
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