Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
(96 Prozent) der 1019 noch lebenden Teilnehmer der Studie zu untersuchen. [164]
Als die Kinder fünf, sieben, neun und elf Jahre alt waren, wurden die Eltern nach der Zeit des durchschnittlichen Fernsehkonsums an einem Wochentag befragt. Bei den späteren Befragungen im Alter von dreizehn, fünfzehn und einundzwanzig Jahren zum Fernsehkonsum konnten die Teilnehmer selbst zu ihrem Fernsehkonsum an Wochentagen und an Wochenenden befragt werden. So wurde der Fernsehkonsum für die Zeiträume Kindheit (fünf bis elf Jahre) und Jugend (dreizehn bis fünfzehn Jahre) separat berechnet. Im Alter von sechsundzwanzig Jahren wurde das erreichte Bildungsniveau auf einer Skala von eins (keine berufliche Qualifikation) bis vier (Universitätsabschluss) eingestuft. Weiterhin wurde der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilie (»arm« bis »reich«) erfasst und die Intelligenz (IQ) der Kinder gemessen. Die Studie ergab, dass der Fernsehkonsum der Kinder bzw. Jugendlichen mit einem geringeren erreichten Bildungsniveau im Alter von 26 Jahren einhergeht. Je mehr in der Kindheit ferngesehen wird, desto geringer ist die Bildung der Kinder, wenn sie erwachen sind.
6.5 Einfluss des täglichen Fernsehkonsums in Kindheit und Jugend auf die berufliche Qualifikation im Alter von 26 Jahren. Jede Säule entspricht 100 Prozent der jeweiligen Untergruppe mit einem täglichen Fernsehkonsum von weniger als einer Stunde, ein bis zwei Stunden, zwei bis drei Stunden und mehr als drei Stunden (schwarz: kein Abschluss; dunkelgrau: Schulabschluss; hellgrau: beruflicher Abschluss; weiß: Universitätsabschluss). [165]
Nun könnte man einwenden, dass nicht das Fernsehen dumm macht, sondern die Dummen (und/oder die Armen) eben mehr fernsehen. Seit längerer Zeit ist bekannt, dass Menschen aus unteren sozialen Schichten tatsächlich mehr Zeit mit Fernsehen verbringen. Um also den auslösenden Faktor bestimmen zu können, ist es wichtig, dass man beide Faktoren (geringe Intelligenz und geringes Einkommen) aus dem Zusammenhang von Fernsehkonsum und Bildungsniveau herausrechnen kann. Denn auch danach bleibt der Zusammenhang bestehen und ist signifikant. Mit anderen Worten: Es ist durchaus der Fall, dass weniger begabte Kinder oder Kinder aus unteren sozialen Schichten mehr fernsehen, aber dieser Effekt allein kann den Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Bildung nicht erklären. Damit ist er real und kein statistisches Artefakt.
Interessant ist weiterhin die Tatsache, dass der Fernsehkonsum im Jugendalter (dreizehn bis fünfzehn Jahre) vor allem mit dem Verlassen der Schule ohne jeglichen Abschluss in Zusammenhang steht; ein geringer Fernsehkonsum im Kindesalter dagegen am stärksten mit dem Erreichen eines Universitätsabschlusses verbunden ist. Beim ersten Befund ist nämlich die Richtung der Verursachung nicht völlig klar: Es könnte sein, dass die Jugendlichen zu viel fernsehen und deswegen die Schule verlassen; es könnte aber auch sein, dass sie sich in der Schule langweilen und deswegen mehr fernsehen. Der negative Zusammenhang zwischen Fernsehen in der Kindheit und dem Abschluss eines Universitätsstudiums hingegen lässt sich nicht auf diese Weise ursächlich neutral deuten. Hier bleibt nur der Schluss, dass das Fernsehen den erreichten Bildungsabschluss beeinträchtigt.
Man fand weiterhin, dass das Fernsehen die berufliche Qualifikation der Kinder mit mittlerem Intelligenzniveau am deutlichsten beeinflusst. Mit anderen Worten: Der gering Begabte hat, relativ unabhängig vom täglichen Fernsehkonsum, eher keinen Abschluss, und der Hochbegabte landet sowieso an der Universität, ebenso unabhängig vom täglichen Fernsehkonsum. Was aber mit der breiten Masse in der Mitte geschieht, hängt wesentlich davon ab, wie groß der Fernsehkonsum beim Einzelnen in der Kindheit war.
Langzeitstudien zu den Auswirkungen der heute verbreiteten digitalen Medien auf das im Leben erreichte Bildungsniveau kann es noch nicht geben. Nimmt man aber die bekannten und in diesem Kapitel diskutierten Daten als Richtschnur und stellt zudem die enorme Plastizität, d.h. Beeinflussbarkeit von Kindergehirnen, in Rechnung, dann muss man zur Vorsicht mahnen: Wir dürfen unsere Kinder nicht den größten Teil ihrer wachen Zeit mit Dingen und Tätigkeiten verbringen lassen, für deren positive Auswirkungen es keine Hinweise, für deren negative Auswirkungen es jedoch deutliche Anhaltspunkte gibt. Und einer Institution dürfen wir unsere Kinder ganz gewiss nicht
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