Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen (German Edition)
den Ball sehr rasch in die Nähe des Lochs bewegen, denn nur dann haben Sie eine Chance, ihn auch wirklich mit möglichst wenigen Schlägen hineinzubekommen. Hierzu verwenden Sie anfangs heftige Schläge, die den Ball weit fliegen und damit dem Ziel rasch nähern lassen. Sind Sie jedoch in der Nähe des Lochs, dann sind heftige weite Schläge nicht sinnvoll, denn Sie wollen ja genau ins Loch. Jetzt sind kleine sanfte Schläge angebracht, die nicht weit, aber dafür genau sind. Es ist also beim Golfspielen zielführend, wenn sich die Strecke, die der Ball mit jedem Schlag zurücklegt, immer weiter verringert, denn nur dann kommt man rasch in die Nähe des Lochs und dann auch noch genau hinein.
7.1 Beim Golf ist es sinnvoll, sich dem Ziel zuerst mit großen und eher ungenauen und dann mit kleineren, immer genaueren Ballbewegungen zu nähern (oben) , statt immer gleiche Schläge zu wählen (unten) .
Beim Lernen beginnt man also am besten mit großen und schreitet dann mit kleinen Schritten zur Präzision. Deshalb lernen Kinder schnell und ältere Menschen viel langsamer. Mit »älteren Menschen« sind in diesem Zusammenhang nicht die über Siebzigjährigen gemeint, sondern alle über siebzehn, wie entsprechende Untersuchungen zur Veränderungsgeschwindigkeit von Synapsen über das Lebensalter nahelegen.
Lernen und Golf unterscheiden sich. Denn beim Lernen ist nicht klar, wo das Ziel ist. Um das Golfspiel dem Lernen anzugleichen, müsste man es in Richtung Topfschlagen abwandeln und mit verbundenen Augen spielen. Man schlägt dann den Ball irgendwohin und bekommt eine Rückmeldung dahingehend, ob der Ball nach dem Schlag näher am Loch oder weiter von ihm entfernt ist (»wärmer«, »kälter«). Auch bei dieser Art Golf wäre es nicht sinnvoll, den Ball immer nur vorsichtig einen oder zwei Meter weit zu schlagen. Wenn man sich nun noch überlegt, dass das kindliche Gehirn nicht nur auf einem Golfplatz einen Ball in ein Loch befördern muss, sondern auf Tausenden von Plätzen gleichzeitig spielt (alles Mögliche gleichzeitig lernt), dann wird klar, dass das Gehirn nicht mal so und mal so vorgehen kann, also beim ersten Schlag vorsichtig, dann weiter, dann wieder vorsichtiger etc. Bei Tausenden von Lernaufgaben gleichzeitig kann es nur eine ganz einfache Strategie verfolgen: Es lernt erst sehr viel mit jeder einzelnen Erfahrung, nähert sich so rasch der Wahrheit und vollzieht dann immer kleinere Schritte. Die Schnelligkeit der Jugend und die Langsamkeit (und Genauigkeit) des Alters sind somit kein Zufall und schon gar nicht Folge von Krankheit im Alter, sondern Ausdruck der Optimierung von Lernprozessen über die Lebenszeit. Auf den Menschen übertragen, heißt dies, dass ältere Menschen die Welt besser kennen als jüngere – solange sie stabil bleibt, d.h. sich nicht ändert. Man spricht vom alten Meister mit seiner subtilen Erfahrung. Und man spricht davon, dass Kinder sich rasch an die unterschiedlichsten Bedingungen anpassen können.
Aus dieser Sicht lässt sich das Problem älterer Menschen in unserer heutigen Welt sehr klar beschreiben: Vieles ändert sich sehr schnell, und deswegen ist die Voraussetzung einer stabilen Umwelt in vielen Bereichen nicht mehr gegeben. Daher können Menschen in die Situation kommen, im Laufe ihres Lebens Werte aus ihrer Umgebung abgeschätzt zu haben, die nicht mehr gelten, und Fähigkeiten gelernt zu haben, die nicht mehr gebraucht werden. Der sechzigjährige Geigenbauer baut bessere Instrumente als der vierzigjährige. Wenn er aber auf den Bau von Synthesizern umsatteln soll, ist er verloren.
Heißt das, dass Erwachsene gar nicht mehr lernen können? Nein! Sie lernen anders als kleine Kinder, nämlich durch Andocken von Neuem an früher bereits gelernte Sachverhalte. Wie in den ersten Kapiteln bereits dargestellt, lernt ein Kind neue Inhalte, indem es Spuren und damit innere Struktur ausbildet; ein Erwachsener hingegen lernt, indem er auf vorhandene Strukturen zurückgreift und sie verknüpft. Lernen ist also beim Kind nicht das Gleiche wie beim Erwachsenen. Kinder entwickeln neue Strukturen; Erwachsene nutzen vorhandene Strukturen und verändern sie dadurch.
Lernen durch Be-greifen
Die nachgeburtliche Ausbildung des Gehirns vollzieht sich also in zweierlei Hinsicht: Zum einen entwickeln sich schnelle Verbindungen zwischen seinen Modulen, und zum zweiten entstehen durch Lernprozesse in diesen Modulen Spuren zunehmender Komplexität. Beide Bildungsprozesse – dieses Wort
Weitere Kostenlose Bücher