Diktator
nehmen.«
Ihr Lächeln war jetzt dünner. »Aber ich habe in meinem eigenen Leben gesehen, dass sich diese Auffassungen als richtig erwiesen haben.«
»Inwiefern?«
»Mein Vater und sein Vater vor ihm haben dem Empire in Indien gedient.«
»Die Bürde des weißen Mannes?«
»Unter den Briten haben sich die Inder binnen Jahrzehnten weiter entwickelt als in den Jahrtausenden davor. Aber die Besitztümer meines Vaters in der Nähe von Bombay sind von Aufständischen niedergebrannt worden; er war gezwungen, nach England zurückzukehren. Und dann wurden seine Ersparnisse, die Früchte der Arbeit von Generationen, durch die kriminelle Inkompetenz eines Finanziers vernichtet …«
»Ein Jude?«
»Fast mit Sicherheit, obwohl ich es nicht beweisen konnte.«
»Das ist es also. Um Daddy zu rächen, sind Sie zur SS gegangen.«
»Mein Vater ist in Armut gestorben«, fuhr sie auf. »Glauben Sie wirklich, auf den Ländereien, die meine Familie in Indien aufgeben musste, herrschten jetzt bessere Bedingungen als unter uns? Glauben Sie, das Geld meiner Familie würde von denen, die es uns gestohlen haben, für etwas Sinnvolles verwendet? Sie sehen, ich bin inmitten des leibhaftigen Beweises für Hitlers These aufgewachsen.«
»Ja, ja«, sagte er. »Und was wollen Sie von mir?«
»Wir bieten ausgewählten Kriegsgefangenen die Chance hierherzukommen, zunächst unter dezenter Überwachung …«
»Ich soll euer Aushängeschild in den Vereinigten Staaten sein.«
»Nun, wenn Sie die Herausforderung annähmen, brächte das sicher eine Menge Schlagzeilen. Ich war drüben; ich weiß, wie es funktioniert. Es könnte eine gewisse Verständigungsbereitschaft erzeugen.«
»Und die Informationen meiner Mutter über Peter’s Well neutralisieren. Richtig?«
Sie beugte sich vor, adrett in ihrer schwarzen Uniform. »Ich will nicht versuchen, das Leid, das Ihnen und Ihrer Familie zugefügt worden ist, herunterzuspielen, Gary. Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst. Da ich in Hastings stationiert bin, habe ich Ihren Schwiegervater kennengelernt. Und zwar sogar ziemlich gut.«
»George?« Er konnte es nicht glauben. »Sie sind die SS!«
»Ja, aber ich bin auch ein menschliches Wesen. Und er hat niemand anderen. Die Zivilpolizisten werden
von denjenigen, die das alles nicht verstehen, weitgehend gemieden, wissen Sie. Manche bezeichnen sie sogar als Kollaborateure und noch Schlimmeres. George braucht Gesellschaft – jemanden, der ihn versteht.«
»›Gesellschaft‹. Mein Gott. Deshalb hat man Ihnen den Auftrag erteilt, mich zu rekrutieren.«
»Wir reden oft über Hilda …«
»Wagen Sie es ja nicht, von ihr zu sprechen.«
»Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Gary.«
»Ich habe genug von dieser Farce. Ich möchte ins Stalag zurück.«
Sie stand auf und stellte ihre Kaffeetasse ab. »Das geht leider nicht«, sagte sie mit einem Hauch von Stahl in der Stimme. »Jedenfalls jetzt noch nicht.« Sie ging zur Tür. »Nehmen Sie sich vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Sie haben das Haus für sich allein. Genießen Sie es. Essen Sie, duschen Sie. Sehen Sie fern. Waschen Sie Ihre Kleider, um Himmels willen. Spazieren Sie ein wenig im Dorf umher; jemand wird Sie begleiten. Vierundzwanzig Stunden. Wenn Sie es wünschen, bringe ich Sie dann zu den Homosexuellen und Geisteskranken Ihres heiß geliebten Stalag zurück.« Sie ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Er stand da, allein und verwirrt. Er nahm sich den letzten Keks vom Teller und steckte ihn in seine Manteltasche, der Reflex eines Gefangenen. Und er starrte den Fernseher an, der seinen Blick erwiderte, ein Glasauge, das auf seine Unsicherheit gerichtet war.
XIX
An diesem Novembermorgen wurde Ben wie jeden Sonntag in Josef Trojans Dienstzimmer gebracht. Er musste auf einem harten Stuhl Platz nehmen, während Trojan sich aufmerksam seine letzten Testergebnisse durchlas. Ein SS-Mann stand an der Tür, eine schwere automatische Waffe in den Händen.
Ben hatte sich mittlerweile an diese Prozedur gewöhnt. Er war ebenso sehr ein Gefangener wie im Stalag, aber jetzt schlief er für das Reich. Früher hätte ihn das zum Lachen gebracht. Er hatte gelernt, nicht zu lachen, jedenfalls nicht über Trojan. Er saß einfach still da und versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen.
Und er saugte in diesen kostbaren Minuten, die er nicht in seiner fensterlosen Zelle verbringen musste, jeden noch so kleinen Stimulus auf. Sie befanden sich in Trojans Forschungsblock in Richborough. Er
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